Zeitenwende – ein Konzert im Zeichen des Generationenwechsels
Es war eine beeindruckende Vorstellung des Hochheimer Blasorchesters, musikalisch überzeugend und emotional abgerundet.
Vor ausverkauftem Haus, nahezu 900 Zuschauer fanden den Weg in die Georg-Hofmann-Halle, eröffnete Lothar Kaufmann den melodischen Reigen mit einer kurzen Begrüßung. Zeitenwende, so der Titel des Konzerts, und was hätte das besser umschreiben können, als die Tatsache, dass nach 70 Jahren nun erstmals eine Frau dem Verein vorsteht.
Christina Euller versprüht bei ihrer ersten Ansprache vor großem Publikum einen kecken Charme, sicherlich nicht frei von Anspannung, jedoch mit souveränem Auftreten. Sie übernimmt und begrüßt mit der Stadtverordnetenvorsteherin, Claudia Weltin, Bürgermeister Dirk Westedt und dem Vereinsreferenten, Klaus-Dieter Jung, die Vertreter der Stadt Hochheim.
Die Ehre erweist sie den Ehrenmitgliedern, ebenso wie der freundschaftlich verbundenen Mainzer Prinzengarde, die an diesem Abend gleichfalls vertreten ist.
„Musik liegt in der Luft“, einst für Catarina Valente geschrieben, durch Diether Thomas Heck populär geworden, ein klangvoller Türöffner. Für einen Moment spürte das Publikum die Atmosphäre der großen Musikshows, die ganze Familien vor dem Fernsehgerät band.
Das Konzert wäre keines des Blasorchesters, wenn nicht Edmund (Eddi) Weins als versierter Moderator Teil des Abends wäre. Mit profundem Wissen aus dem Reich der Musik, für einen Musiklehrer sicher nicht erwähnenswert. Aber die Fähigkeit, dem Auditorium dieses mit sonorer Stimme in kurzen und prägnanten Formulierungen zu vermitteln, das zeichnet ihn aus. Seine Beschreibungen zu jedem Musikvortrag schufen den Zugang zu dessen Wesen.
Der erste Teil des Konzerts umfasste bekannte Melodien, jedoch auch weniger bekannte Stücke. In der Reihenfolge trug das Orchester Auszüge aus den Melodien des mit 7 Oscars prämierten Films „Der mit dem Wolf tanzt“ vor. Die Interpretation durch Musikinstrumente transportiert die Dramatik und Folklore des monumentalen Films in die Zuschauerränge. Die beiden an den Stirnseiten über der Bühne angebrachten Leinwände untermalen in Bildern mit Ausschnitten aus dem Film zu dem, was sich tonal bestens einfügt.
Die technische Unterstützung fasziniert gleichermaßen zum Klangbild eines über Jahrzehnte gereiften Klangkörpers. Stationäre und mobile Kameras schaffen für den Zuhörer ein unmittelbares Dabeisein, denn kein sich bewegender Finger, keine Regung der musizierenden Gemeinschaft bleibt verborgen. Die Solisten werden während ihrer Darbietung namentlich mit Untertitel vorgestellt. Die Zuhörer sind gleichermaßen mit Julian Krestan erleichtert, als dieser nach seinem solistischen Einstieg sichtbar Anspannung ausatmet.
Er, sowie Christina Euller, Martin Hähnke und am Schlagzeug Wolfgang Schmitt tanzen solistisch mit dem Wolf.
Franz Lehar, auch ihm erweist das Orchester die Ehre. „Die lustige Witwe“ ist es, die sich im Aufführungsreigen wiederfindet. Ein beeindruckender Komponist, im Alter von 6 Jahren komponierte er erstmals, mit 12 Jahren begannen seine Studien in Prag bei Antonin Dvorak. Lehar gilt als der Vater der Operette. Die bekannten Melodien steckten das Publikum an, für das Orchester waren die fast jazzartigen Dissonanzen und rhythmischen Verschiebungen Schwerstarbeit, gemeistert mit großer Klasse, Trompeter Jörg Eimer führend als Solist.
Ein Soundtrack mit Ohrwurmgarantie, so die Worte des Moderators Eddi Weins, geschaffen von dem in Frankfurt geborenen Oscar-Preisträger, Hans Zimmer, in wild stampfender rhythmischer Qualität. Er führt ein in „Piraten der Karibik“, eröffnet durch eine durch den Saal marschierende Trommlerreihe in den Uniformen der Mainzer Prinzengarde. Gleichförmig, reglos im Gesichtsausdruck, schritten sie durch die Reihen und postierten sich in Front der Bühne. Das Orchester griff den Einstieg auf und führte bestens, wiederum untermalt durch Bilder auf der Leinwand mit dem eigenwilligen Piratenkapitän Jack Sparrow, durch das Piratenleben.
Die solistischen Einlagen präsentierten Kerstin Moravek an der Flöte, Sarah Öchsle an der Klarinette und Wolfgang Schmitt am Schlagzeug, begleitet von der Rhythmusgruppe, bestehend aus Joachim Resch, Kai Köhler und Wolfgang Herud.
Den ersten Teil abschließend marschierten 76 Posaunen, so der Titel des Musikstückes, welches das Orchester in seiner Besetzung spielte, die vielen Posaunen sozusagen nur auf der Leinwand im Bild.
Den zweiten Teil eröffneten die „Weiherfrösche“, das Nachwuchsorchester des Hochheimer Blasorchesters. Seit mehr als 10 Jahren werden sie angeleitet und gefördert durch ihren Dirigenten, Andreas Möller. Ihm war der Dank aller Anwesenden gewiss, als sein Abschied verkündet wurde.
Der Klangkörper wusste zu überzeugen, mit modernen Stücken. „Bad“ von Michael Jackson oder „Skyfall“, der Titelmelodie zum gleichnamigen James Bond, gesungen im Original von Adele.
Die zehn Nachwuchsmusiker besetzen die Instrumente Flöte, Klarinetten, Saxophon, Trompete, Posaune, Tenorhorn und Schlagzeug. Unterstützt wurden sie durch ausgewählte Mitglieder des großen Orchesters. Dort wird der Weg alle jungen Musiker hinführen, das zeichnete sich an diesem Abend ab.
Für den Schlagzeuger Lars Terwyen ist das bereits an diesem Abend so. Das klassische Schlagzeug lieferte sich einen musikalischen „Battle“ mit dem elektronischen Pendant. Wolfgang Herud und er schlugen sich prächtig, Herud dabei auf einer planen Fläche, die alle Klangarten eines großen Schlagzeugs faszinierend nachbildet. Terwyen stand dem nicht nach. Das Publikum war wieder da mit stürmischen Beifall nach einem gelungene Schlagzeugsolo.
Die Premiere. Gemeinsam mit dem Hochheimer Kammerorchester betrat das Hochheimer Blasorchester die Bühne zum zweiten Teil. Die räumliche Enge wurde durch das Klangerlebnis eines nunmehr sinfonischen Orchesters klangvollendet hinweggefegt.
Das Hochheimer Kammerorchester ist seit vielen Jahren eine feste Größe. Es war Bernd Kosel, der 1970 ein Streichensemble gründete, um den Chor der Sängervereinigung Hochheim musikalisch zu unterstützen. Ab dem Jahr 1974 wurde das Hochheimer Kammerorchester zum Lebenswerk von Ruth und Peter Seifert. Beide traten mit auf. Als Konzertmeisterin fungiert heute Katrin Ebert, die als 16-jährige einst im Kammerorchester debütierte.
Der Traum des gemeinsamen Wirkens auf der Bühne war seit vielen Jahren präsent, nun verwirklichte er sich in der Aufführung der Melodien aus dem Musical „Elisabeth“. Im Jahr 1992 uraufgeführt in Wien, ist der Elisabeth nichts gemein mit der herzlich naiven Sissi in dem gleichnamigen mehrteiligen Film. Das Musical verkörpert eine selbstbewusste und starke Frau, die ihrer Zeit voraus war. Die innere Zerrissenheit, das war der Anspruch an das Orchester, galt es klangvoll den Zuhörern zu vermitteln, welches tief beeindruckt dem Zusammenspiel von Streichern und Bläsern lauschte und am Ende kräftigen Beifall spendete.
Noch einmal betrat der berühmte Geheimagent mit seiner eigentlichen Titelmelodie die Bühne. Dem Hochheimer Kammerorchester war der alleinige Auftritt gegönnt. Die Streicher nahmen in gewohnt souveräner Manier dankend an.
Den Abschluss des Konzertes bildeten Extrakte aus zwei weltberühmten Musicals. „Jesus Christ Superstar, komponiert von einem damals unbekannten 21-jährigen Komponisten, dessen Name heute weltweit damit verbunden ist: Andrew Lloyd Webber.
Der andere, ein komponierender Superstar, Leonhard Bernstein, Workoholic mit Dirigentenstab, im vergangenen Jahr imaginär 100 Jahre alt geworden, mit seinem wohl berühmtesten Werk, der „West Side Story“.
Beide Werke wühlten auf in der Kontroverse, welche sie schufen. Ihre Botschaften waren kritisch, gegen den Zeitgeist und problembewusst. Christliche Gruppen unterbanden die Aufführung der Rockoper, die im Jahr 1971 in New York uraufgeführt wurde und das Leben Jesus` in den letzten sieben Tagen vor seinem Tod thematisiert.
Bernstein griff das Thema Romeo und Julia auf, eingekleidet in den Bandenkrieg rivalisierender ethnischer Gruppen, Amerikaner und eingewanderte Puerto-Ricaner, dort die privilegierten, hier die benachteiligten. Nur die Liebe kann den Konflikt überwinden, jedoch beide Seiten zahlen einen hohen Preis.
Als die Musik verstummte, folgten die Emotionen.
Rail Grodzenski, seit dem 25. März 1995 Dirigent des Hochheimer Blasorchester, beendete sein Wirken nach fast 25 Jahren. Er, der in sich gekehrte Antreiber führte das Orchester in einer Zeit, die es in der Nachschau verdient als epochal bezeichnet zu werden, zu ihrem heutigen Können. Auch im Moment des Abschieds genügten ihm wenige Worte. Er bat darum, das Orchester, ein Juwel für die Stadt Hochheim, weiter zu unterstützen.
Voller Dank und voll des Lobes verabschiedeten Lothar Kaufmann und Christina Euller ihren Dirigenten in den verdienten Ruhestand.
Selbstredend galt der Dank daneben allen Mitwirkenden und Helfern, die zu diesem Abend ihren Teil beigetragen hatten.
Auch Eddi Weins schloss sein Kapitel als kenntnisreicher Moderator der Konzerte des Hochheimer Blasorchesters ab. Mit dem gemeinsamen Wirken von Hochheimer Kammerorchester und dem Blasorchester erfüllte sich auch für ihn persönlich ein Traum.
Das begeisterte Publikum erhob sich von den Plätzen und dankte es allen mit lang anhaltendem Beifall. Das entlockte den jetzt sichtlich entspannten 64 Musikern auf der Bühne noch zwei Zugaben.
Zeitenwende, unter dieser Überschrift stand ein konzertanter Abend der besonderen Klasse. Auch die Zeiten im Verein wenden sich. Eine neue Generation wird an den Start gehen. Sie wird denen nacheifern wollen, die an diesem Abend organisatorisch und künstlerisch ihr Bestes gaben.
Titelbild: Das Blasorchester und das Kammerorchester gemeinsam auf der Bühne
Bild: Gespannt lauscht das Publikum und beobachtet die Künstler auf der Leinwand
Bildnachweis: Klaus-Peter König