D I E A L T E M A L Z F A B R I K

Von Ellen Umstätter-Speth

Das Gebäude, auf dem die heutige EVIM Senioren Anlage steht, war bis Ende Dezember 1992 Produktions-Stätte der Hochheimer Malzfabrik, die das gesamte Stadtbild wesentlich prägte.

Mit dem Abriß endete die  135jährige Geschichte der Malzherstellung in Hochheim.

Blick aus den Weinbergen

Begonnen in der Kirchstraße

Der eigentliche Beginn der Produktion begann in der Kirchstraße 28. August von Schlemmer erwirbt dieses Anwesen im Jahr 1857 und baut dort ein Brauereigebäude sowie ein Malz- und Kühlhaus. Nach zehn Jahren verkauft von Schlemmer dieses Gelände, denn er investiert und expandiert.

Schon 6 Jahre später wird der südliche Teil der Frankfurter Straße von der Hintergasse bis in die Flörsheimer Straße hinein von den Industriebauten der Malzfabrik beherrscht.

Die Gebäude wurden Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet und ständig vergrößert und erweitert. Das Eckhaus an der Hintergasse, das bereits um 1700 als Schildwirtschft genannt wurde, war einst ein Gasthaus – Zum Adler- , und wurde dann von der Malzfabrik als Wohnhaus für Bedienstete genutzt.  

Zuletzt Modehaus „Schücker“

1986 erfolgte dort in Parterre ein Umbau in ein Geschäftshaus, in das ein Modehaus – Schücker – einzog. 

Die Villa in der Kirchstrasse

Bereits 1867 verkauft von Schlemmer das Fabrikgelände in der Kirchgasse an Ferdinand Raab. Dieser betreibt nunmehr auf diesem Gelände eine Presshefen-Fabrik.

Raab baut von 1873 bis 1875  für sich und seine Familie eine Villa auf dem gegenüberliegenden Grundstück, welche er bis 1912 bewohnt.

Danach erwirbt die Stadt Hochheim die Villa, die bis ins Jahr 1976 als Rathaus genutzt wird. Heute befindet dort „im alten Rathaus“ das Historische Heimatmusem, der Magistratssaal sowie Wohnungen.

Hier kann auch in schönen Räumlichkeiten geheiratet und gefeiert werden.

Könnten die Steine der Villa sprechen, gäbe es sicher einige Anekdoten von dort zu berichten…

Zurück zur alten Malzfabrik 

Hochheim hat zur Mitte des 19. Jahrhunderts ca. 2.800 Einwohner, die hauptsächlich einen Arbeitsplatz im Weinbau fanden. Es gab zwei Champagnerkellereien, zwei Weinbrennereien, eine Wachsfabrik sowie mehrere Handwerksbetriebe.

Hochheim eignete sich als Fabrikationsort für Braugerste, da es im sogenannten „Blauen Ländchen“ zwischen Wiesbaden und Frankfurt liegt. Der reibungslose Transport von Malz war mittels Taunusbahn sowie Schifffahrt auf dem Main und Rhein gesichert.  

Für die Malzherstellung war es wichtig, dass alle Faktoren, die die Beschaffenheit und Qualität des Malzes beeinflussen (Luftzufuhr, Temperatur, Feuchtigkeit) genau überwacht und eingehalten wurden.

Besondere Anforderungen an Gebäude und Maschinen, Lagerkapazitäten und Reifelagerung war nur auf großen Flächen möglich.

So entstand mitten in Hochheim ein Industriegebiet, das der Stadt als Steuerzahler, Strom-  und Wasserabnehmer erhebliche Einnahmen brachte.

 

Bier wird immer getrunken

Zur wirtschaftlichen Höchstproduktion waren über 200 Arbeitnehmer beschäftigt! Doch wo gehobelt wird, da fallen Späne; die großen Fabrikhallen und das riesige Silogebäude sprengten den Maßstab der Umgebung.

Die Belastung durch Geruch und Lärm sowie die An- und Ablieferung durch Schwerlastzüge ließ in der Altstadt Hochheims manches Glas im Schrank wackeln und klirren.

Seitens der Stadt wurde jedoch der Standort der Produktion jahrelang unterstützt, die Interessen des Gewerbesteuerzahlers hatten Vorrang vor Fragen des Städtebaus bzw. des Stadtbildes.

Bedingt durch die Krisenjahre 1870/71 kommt es zu massenhaften Firmengründungen und Überproduktionen, doch die Bierindustrie und damit die Mälzereien bleiben von der Krise verschont. Bier wird auch in Krisenzeiten getrunken!

Erforderliche Investitionen können zu diesen Zeiten von privaten Firmen nicht getragen werden, deshalb gründen Fabrikanten  Aktiengesellschaften, was auch August von Schlemmer 1886 für seine Malzfabrik in Hochheim vornimmt.

von Schlemmer verkauft 

Ende 1893 setzt sich von Schlemmer zur Ruhe. Er verkauft –  und mehrfach wechselt der Besitzer der Malzfabrik. Auch der Sohn von Ferdinand Raab, Otto Raab, veräußert 1921 sein Werk in der Kirchstraße.

Die Weltwirtschaftkrise Anfang 1930 wirkt sich auch in Hochheim aus, die Malzfabrik beschäftigt nur noch 25 Mitarbeiter. Die Fabrikation von Braumalz ruht, doch wird der Betrieb verpflichtet, seinen Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Die Produktion wird für die chemische Industrie (Merck, Darmstadt) sowie für Seifenherstellung umgestellt. Auch Trockengemüse und -Kartoffeln, ebenso Dörrung und Verarbeitung von Kastanien laufen über die Bänder der Fabrik.

Die Kellerräume der Fabrik werden als Luftschutzräume für rund 100 Personen genutzt.

Weiterhin sind durchschnittlich 1.600 t Gerste eingelagert, die dauernd in Bewegung gehalten werden müssen.

Nach dem Krieg

Nach dem Krieg wird der Betrieb ständig modernisiert, die Produktion rationalisiert. 1956 erwerben die Malzfabriken Hochheim ein Anwesen der Mühlenwerke Müller in Mainz am Floßhafen mit einer Löschanlage für Schiffe und einem Bahngleisanschluß.

Anfang der sechziger Jahre wird ein letzter großer Bauabschnitt

neue große Keimstrassen und die Erweiterung des Silogebäudes – begonnen, den die Stadt ohne Bedenken genehmigt.

Nur das Notwendigste wird gemacht

In den achtziger Jahren gelangt dann die Malzfabrik vorübergehend in englischen Besitz.

1985 erwirbt Unternehmen Gbr. Bindewald die Fabrik, die zu diesem Zeitpunkt so baufällig ist, dass für die neuen Besitzer weniger die Malzproduktion als die Silokapazität attraktiv ist.

Nur das Notwendigste wird repariert.  

Neben dem Braumeister sind nur noch sieben Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt.

Anfang 1992 erwirbt die Stadt Hochheim die Malzfabrik, um die Städtebauliche Entwicklung der Kommune voran zu treiben.

Heute erinnern an die Hochheimer Malzfabriken nur noch zwei Gebäude. Einmal die Fabrikanten Villa in der Kirchstraße sowie das ehemalige Gasthaus „zum Adler“ in der Hintergasse 2.

Quellen:

Heft 14 / 1993  Hochheim am Main

Beiträge zu seiner Geschichte und Heimatkunde

 

 

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