Mit Kindern an die Macht? – Warum Kinderbetreuung das Wahlkampfthema zur Kommunalwahl ist
Ein Essay von Klaus Peter König
Das Land Hessen befindet sich in allen Städten und Gemeinden im Kommunalwahlkampf. Lokale Themen stehen im Vordergrund. Es geht um das, was unmittelbar berührt, was schlecht läuft, was zu ändern ist.
Zentrales Anliegen in den Gemeinden ist die Kinderbetreuung; vergleichbar der den Bundesländern in die alleinige Kompetenz überantwortete Schulpolitik. Die Kinderbetreuung ist das Wahlkampfthema der Kommunalpolitik und übertrifft bei weitem anderen kommunale Themen wie das Bauen und die Finanzen.
Gleichwohl ist die kommunale Kinderbetreuungspolitik punktuelles Flickwerk.
Was fehlt, ist das Konzept, das die Eltern als Kunden versteht und sich täglich bemüht, ihren Wünschen gerecht zu werden.
Was fehlt, ist eine Vergütung der Fachkräfte, die ihre Leistungsbereitschaft belohnt und entlohnt. Davon sind die jetzt gezahlten Gehälter meilenweit entfernt.
Was fehlt, ist die Einsicht der Eltern, dass Qualität in der Kinderbetreuung nicht für die Kostenbeiträge erhältlich ist, die derzeit zu zahlen sind. Dazu müssen Kostenbeiträge, wie gesetzlich zulässig, nach Einkommen gestaffelt und das Beitragsaufkommen insgesamt deutlich angehoben werden. Beiträge der Eltern und leistungsgerechte Vergütung der Fachkräfte stehen in einem unauflösbaren Wechselbezug.
Der Bundesgesetzgeber sah bereits zu Beginn der neunziger Jahre die Notwendigkeit, ein eigenes Gesetzbuch zu schaffen, welches für die Kinder- und Jugendhilfe Recht setzt. Die Bedeutsamkeit des Rechtsgebietes stellte er damit heraus, als dass er in der einleitenden Vorschrift des SGB VIII den Artikel 6 des Grundgesetzes zum Schutz von Ehe und Familie wörtlich wiederholt, um dem Gesetz Gewicht zu verleihen.
Das Bundesrecht übergibt die Aufgabe, Kinder und Jugendliche zu fördern und zu schützen, an die Bundesländer weiter. Ihnen ist auferlegt, auf einen gleichmäßigen Ausbau der Kinder- und Jugendhilfe hinzuwirken. Dabei gilt es, zum Teil erhebliche Unterschiede im Angebot zur Kinder- und Jugendhilfe innerhalb der Bundesländer anzugleichen. Die Bundesländer selbst sollen idealtypisch auf dem Rücken der Angebote für Kinder keinen Wettbewerb untereinander austragen.
Auch der hessische Landtag beschloss und beschließt immer wieder in der ihm durch Bundesrecht auferlegten Pflicht zahlreiche Gesetze und Verordnungen, mit denen er die Kinder und die Jugend fördert. In ihnen konkretisiert sich das Vorhaben in Kindertageseinrichtungen, die im Gesetz als Einrichtungen zur Kinder- und Jugendförderung namentlich genannt werden. Darunter fallen auch Kinderkrippen für Kinder bis zu drei Jahren, Kindertageseinrichtungen bis zum Schuleintritt als auch Kinderhorte für Kinder im Schulalter.
Die Einrichtungen müssen nicht von der Stadt oder der Gemeinde betrieben werden. Das Gesetz lässt ausdrücklich auch freie Träger zu, die eine Kindertageseinrichtung betreiben dürfen. Die freien Träger haben in den verantwortlichen Personen die fachliche Eignung zum Betreiben einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen, denn der Betrieb einer kinderbetreuenden Einrichtung steht unter einem Erlaubnisvorbehalt durch die zuständige Behörde.
Die durch Bundesgesetz aufgegebene Zuständigkeit der Bundesländer für die Kinder- und Jugendförderung formuliert die Verpflichtung der Länder, für finanzielle Lasten der kommunalen Träger der Kinder- und Jugendhilfe einzustehen. Dabei haben die Länder die finanzielle Überbelastung der Städte und Gemeinden aus der Kinder- und Jugendförderung zu verhindern. Die kommunale Selbstverwaltung, das Recht der Städte und Gemeinden, ihre eigenen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln, darf durch vom Bundesland übertragene Aufgaben nicht finanziell ausgehöhlt werden.
Im Gegenzug haben die kommunalen Träger die Kinder- und Jugendförderung finanziell transparent und mit geschärftem Kostenbewusstsein auszugestalten.
Der Landesgesetzgeber sieht seine maßgebliche Aufgabe darin, den Bau als auch den Betrieb von Kindertageseinrichtungen finanziell zu fördern. Dabei bestimmt er eine subjektbezogene Förderung der Einrichtung an der Anzahl der aufgenommenen Kinder in der betreuenden Einrichtung. Die Anzahl der aufzunehmenden Kinder, auch körperlich oder geistig benachteiligter Kinder, regelt das Verfahren über die Erteilung einer Betriebserlaubnis für die Kinderbetreuungseinrichtung. Können die Kinder nicht nach der Vorgabe der Betriebserlaubnis betreut werden, wäre eine kinderbetreuende Einrichtung im Zweifelsfall zu schließen.
Das Landesrecht kommunalisiert die Kinder- und Jugendhilfe. Die Aufgabe ist den Landkreisen und den kreisfreien Städten angetragen, das, was abstrakt ein Bundesgesetz regelt, in die Tat umzusetzen.
Im Sinne der Kostentransparenz werden die kommunalen Einrichtungen grundsätzlich als eigene Haushaltstitel geführt. Sie sind im haushaltsrechtlichen Sinne Gebührenhaushalte, woraus sich als gesetzliches Erfordernis bestimmt, dass diese kostendeckend sein müssen.
Von der Kostendeckung sind die kinderbetreuenden Einrichtungen ausgenommen, denn der Bundesgesetzgeber fordert keine Gebühr für die Kinderbetreuung, sondern einen Kostenbeitrag. Damit öffnet er das kommunale Haushaltsrecht hin zu einem haushaltsrechtlich zulässigen Defizit aus der Kinderbetreuung, dass aus anderen Mitteln des Haushaltes auszugleichen ist, regelmäßig aus Steuereinnahmen.
Gebühren, Kostenbeiträge, das nach Beträgen zu bestimmen, ist die kommunale Aufgabe der Gemeindeparlamente. Kommunale Satzungen sind „kommunale Gesetze“. Sie begründen Rechte und Pflichten der Betreiber als auch der Benutzer einer gebühren- oder beitragspflichtigen kommunalen Einrichtung. Dabei sollen Beiträge nur einen Anteil der Kosten ausgleichen.
Gebühren und Beiträge dürfen durch eine Gemeinde für die Nutzung kommunaler Kinderbetreuungseinrichtungen nur erhoben werden, wenn die in Kommunalwahlen gewählten Gemeindevertreter über eine Gebührensatzung beraten und abgestimmt haben. Die Gebührenordnung konkretisiert Leistung und Gegenleistung, mit anderen Worten die Aufenthaltsdauer des Kindes in der Tageseinrichtung gegen einen konkret zu bezahlenden Beitrag. Die Gebührensatzung formuliert damit aber auch, dass für mehr Beitrag keine längere Kinderbetreuung erkauft werden kann, denn der höchste Beitrag begrenzt die längst mögliche Betreuungszeit. Da die Satzung den Umfang für alle Nutzer gleichermaßen festlegt, hilft auch Verhandlungsgeschick nicht weiter.
Neben die Gebührensatzung tritt die Satzung über die Kindertageseinrichtungen, in welcher die rechtlichen Grundsätze des Miteinander geregelt sind. Dazu gehören die wechselseitigen Rechte und Pflichten ebenso wie Schließzeiten, nicht zuletzt die Mitbestimmungsrechte der Eltern, die ihre Kinder in einer Tageseinrichtung betreuen lassen.
In Hochheim verschärfte sich zuletzt die politische Auseinandersetzung um die durch die Kindertageseinrichtungen anzubietenden Betreuungszeiten.
Im zeitlichen Angebot treffen grundlegend kontroverse Ziele der Eltern auf die Leistungsfähigkeit der Einrichtung, aber auch auf den Ideenreichtum des Trägers der Einrichtung, sich zeitlich flexibel nach dem Elternwillen mit langen Öffnungszeiten zu präsentieren. Das Spannungsverhältnis ist ein Dreiecksverhältnis, in dem Eltern, vorhandenes und nicht vorhandenes Fachpersonal und der Träger, somit alle sich einander gegenüberstehen.
Der Grundgedanke der Kindererziehung weist den Kindertageseinrichtungen nur eine ergänzende Rolle zu. Dem ist auch die Rechtsprechung gefolgt, die beiden Elternteilen keinen Anspruch zuerkennt, in Vollzeit tätig zu sein und die Rolle der Kindererziehung in eine Kindertageseinrichtung auszulagern. Kinderbetreuung soll den Erziehungsauftrag der Eltern ergänzen.
Dagegen steht eine Welt, in welcher politische Entscheidungen immer weiter in die nicht beliebig zu mehrende finanzielle Ausstattung der Familien eingreifen. Folge ist die Notwendigkeit beider Elternteile, in Vollzeit zu arbeiten. Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hochheim beschloss jüngst die Erhöhung der Grundsteuer. Zusätzliche finanzielle Anforderungen sind für die Zukunft verbindlich nicht ausgeschlossen.
Arbeitszeiten bestimmen sich am gewählten oder am tatsächlich ausgeübten Beruf. Die Tätigkeit im Einzelhandel, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel umfasst mehr als 12 Stunden täglich und beginnt mit den nötigen Vorbereitungen deutlich vor den Ladenöffnungszeiten. Kunden sind Eltern und Eltern sind Kunden, im Einzelhandel ebenso wie in der Kindertageseinrichtung. Daher muss die Kommunalpolitik schon deshalb den zeitlichen Umfang der Kinderbetreuung diskutieren, wenn sie attraktiv für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Hochheim gleichermaßen sein will. Die Ansiedlung neuer Unternehmen in einem noch entwicklungsfähigen Gewerbegebiet sieht auch das Angebot der Kinderbetreuung als Standortfaktor. Kommunalpolitische Programmatik wird sich daran messen lassen müssen, wie sie Beschäftigung, Arbeitszeitmodelle und das Anwerben einer ausreichenden Anzahl an Fachkräften zur Kinderbetreuung in Einklang bringt.
Damit ist unausweichlich, das Unwort „Notbetreuung“, welches in den pandemisch geprägten Zeiten in nahezu jeder Munde ist, in seiner umfassenden Unart als diskriminierend zu entlarven. Wer als Arbeitnehmer täglich arbeitet, sei es selbständig oder abhängig beschäftigt, der ist nicht in Not, weil er seine Arbeit verrichten muss. Er teil das übliche Schicksal von mehr als 40 Millionen Beschäftigten in Deutschland. Damit ist auch nicht gönnerhaft, dass Kindertageseinrichtungen den Beschäftigten aus ihrer „Not“ helfen, indem sie Kinder für eine beschränkte Zeit aufnehmen, sondern es ist eine Pflicht vielfältig zu denken, wie Kinder betreut werden und ihre Eltern ihre arbeitsvertragliche Pflicht erfüllen können. Es ist auch keine „Not“ des Beschäftigten, in durch Satzung angeordnetem Betriebsurlaub der Kindertageseinrichtung während den Sommerferien seine Arbeit verrichten zu müssen, sondern es ist im Gegenteil volkswirtschaftlich anerkannt, dass in den Sommerferien das Wirtschaften nicht eingestellt werden kann, weil eine ganze Republik in Urlaub geht. Hinzu kommt, dass Kindergartenkinder mit ihren Eltern in die kostspieligen Hauptreisezeiten gezwungen werden. Hier sind auch in Hochheim alle Parteien gefordert, sich mit Konzepten zu präsentieren, die erkennen lassen, dass die Arbeitswirklichkeit der Eltern verstanden ist.
Steht die Leistungsfähigkeit der kommunal organisierten Kinderbetreuung im Vordergrund, so kann das nicht mit sich ständig mindernden Kostenbeiträgen der Elternschaft einhergehen. Politische Bemühungen, die Kosten der Kindertagesstätten zunehmend auf den allgemeinen Haushalt zu verlagern, heißt, dem Haushalt seine Investitionsfähigkeit zu entziehen. Wenn bereits den Bundesländern auferlegt ist, jegliche finanzielle Überforderung der Gemeinden aus der Kinderbetreuung abzuwenden, muss das erst Recht für kommunalpolitische Initiativen gelten, die eine finanzielle Überforderung in eigener Verantwortung beschließen lassen wollen. Die Landkreise als Träger, auch der Main-Taunus-Kreis, unterstützen Eltern, die Kindergartenbeiträge nicht aufbringen können, durch Zuschüsse. Die Beiträge der Eltern sind schon deshalb auf Angemessenheit in jährlichen Abständen zu prüfen, weil Fachkräfte sich nur anwerben lassen, wenn sie deutlich besser vergütet werden als derzeit. Die deutliche Erhöhung der Vergütungen für die Fachkräfte korreliert mit dem angestrebten Ende des Fachkräftemangels.
Die Kinderbetreuungslandschaft in Hochheim hätte sich zu öffnen für neue, auch durch freie Träger angebotene Kindertageseinrichtungen. Der erste privatwirtschaftlich organisierte Träger wird im Sommer seine Arbeit aufnehmen. Die Frage muss zulässig sein, warum es eine Bürgergenossenschaft Hallenbad, nicht jedoch eine Bürgergenossenschaft Kinderbetreuung gibt.
Abschließend muss ein besonderes Augenmerk auf den amtierenden Bürgermeister geworfen werden, der nur zu gerne die Kinderbetreuung in seinen Wahlkampf integriert. Obwohl der Sozialausschuss als fachlich vorbereitendes Gremium die neue Gebührensatzung noch nicht beraten, geschweige denn eine Beschlussempfehlung an die Stadtverordnetenversammlung ausgesprochen hat, werden Eltern durch die Verwaltung aufgefordert, ihren Betreuungsbedarf in den kommenden Sommerferien während der Schließungszeiten anzumelden. Wohlgemerkt mit eingeschränkten Betreuungszeiten und unter Bezug auf eine Gebührensatzung, die weder beraten noch durch die dazu berufene Stadtverordnetenversammlung verabschiedet ist. Erst kürzlich hatte die Stadtverordnetenvorsteherin, Claudia Weltin, die Zusammenarbeit und die Art des Umgangs des Bürgermeisters mit den Stadtverordneten kritisiert. Davon zeigt sich Westedt unbeeindruckt, wenn er auch für die Kinderbetreuung in den Sommerferien ein noch nicht durch die Stadtverordneten geschaffenes Recht gegenüber den Eltern eigenmächtig anwendet. Eltern, die ihre Kinder in den Sommerferien betreuen lassen, können daher das Formular an die derzeit gültige Satzung anpassen und eine Betreuung von 7 Uhr bis 17 Uhr in den Sommerferien beanspruchen, denn Gültigkeit besitzt die Satzung für alle Eltern im Zeitpunkt der Antragstellung.
Sachkundige und mutige Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung haben in früheren Zeiten solche Eingriffe eines Verwaltungschefs in die Rechte des Stadtparlamentes mit Eilanträgen zu verhindern gewusst.
Bild: Kinder – um sie geht es.