Pomade und Posaune begeistern das Publikum
(hn) Zu einer musikalischen Zeitreise in die 20er, 30er und 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der Lions Club Hochheim-Flörsheim im Rahmen seines Benefizkonzerts in der Aula des Flörsheimer Graf-Stauffenberg-Gymnasiums eingeladen. Doch von alt wirkender Musik keine Spur, „Denis Wittberg und seine Schellack-Solisten“ verstanden es prächtig, den Stil der Goldenen Zwanziger mit seinem Wirtschaftsaufschwung nach dem Weltkrieg historisch authentisch und doch gleichsam modern zu interpretieren.
Den Auftakt des Konzerts gestaltete die Bigband des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums unter der Leitung von Musiklehrer Bernhard Frank. Dieser moderierte nicht nur die zwei Swing-Titeln und den Bossa Nova selbst an, er gab dem Publikum auch einen Einblick in die unter der Corona-Pandemie stark gelittene Probenarbeit seiner vorwiegend aus Blasinstrumente bestehenden Schülercombo. „Wir wollen uns die Probenpause nicht anmerken lassen“, gab Bernhard Frank augenzwinkernd bekannt und sollte damit Recht behalten, denn das Publikum belohnte den ersten Auftritt der Schüler-Bigband nach fast zweieinhalb Jahren Unterbrechung mit großem Applaus.
Den Konzertauftakt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits „All of Me“ von Seymour Simons und Gerald Marks gebildet, bei dem Josua Garthe mit seinem Gesang überzeugt hatte. Es folgte das zeitgenössische Instrumental „Song for San Miguel“ von Mike Steinel, ehe mit dem „Basin Street Blues“ von Spencer Williams, mitreißend gesungen von Carolin Califice, ein Klassiker so vieler Lions-Jazzkonzerte den Abschluss der Schülerdarbietung bildete. Mit Leon Wischert (Guitarre), Salome Haag (Tenorsaxophon), Katharina Hofmann (Flöte) und wiederum Josua Garthe (Posaune) wussten auch die Instrumental-Solisten zu überzeugen, so dass ihnen der bei Jazzkonzerten übliche Szenenapplaus sicher war.
Die Umbaupause zwischen der rund dreißig Schüler umfassenden Bigband und den neun Schellack-Solisten nutzte Lions-Präsident Alexander von Renz für die offizielle Begrüßung der weit über 250 Konzertbesucher und zahlreicher Ehrengäste. Mit Bürgermeister Dr. Bernd Blisch und Stadtverordnetenvorsteher Michael Kröhle war die Flörsheimer Seite prominent vertreten, mit dem ersten Stadtrat Hans Mohr und Stadtrat Olaf Lassalle war auch Hochheim trotz eines dort gleichzeitig stattfindenden weiteren Benefizkonzerts würdig repräsentiert. Als die Umbaupause länger als seine kurz gehaltene Begrüßung dauern sollte, nutzte Alexander von Renz die Zeit, um dem Publikum mehr über die Aktivitäten des Lions Clubs nahe zu bringen.
In die Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft der 1920er Jahre fühlte sich alsbald das Publikum zurück versetzt, als Denis Wittberg mit seinen neun Schellack-Solisten in feinstem Zwirn die Bühne betrat. Musik, Auftreten und Zwischenmoderationen, ja selbst die Gestiken und Mimiken der Akteure, während sie gerade pausierten, folgten einem auf die Gesamtszenerie wohl abgestimmten Duktus.
Was folgte war in der ersten Konzerthälfte ein bunter Reigen an Tanz- und Schlagermusik der 1920er, 30er und 40er Jahre. Klassiker wie „Ich küsse Ihre Hand Madame“ und Skuriles wie „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ von Georg Kreisler fanden sich ebenso darunter wie das mit einer gehörigen Portion Selbstironie und einer fein abgestimmten Prise Klamauk vorgetragene „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“. Kombiniert wurden diese „echten“ Titel des frühen vorherigen Jahrhunderts mit zeitgenössischen Eigenkompositionen des Schellack-Pianisten Jörg Walter Gerlach, die ganz im Stile der 1920er-Jahre arrangiert waren: „Hallo süße Frau“ passte sich ebenso authentisch in das Programm ein wie die mit Nikolausmützen vorgetragene Rumba „Wär´ ich doch an Weihnachten auf Kuba“.
Nach der Pause betraten die Schellack-Solisten stilgerecht in weißen Dinnerjackets die Bühne. Etwas anderes als den Frack zum pomadigen Haar zu tragen wäre Denis Wittberg zu diesem Zeitpunkt niemals in den Sinn gekommen. Neben Klassikern wie die „Schöne Isabella von Kastilien“ bildeten vor allem Titel der „Neuen Deutschen Welle“ aus den frühen 1980er-Jahren, interpretiert im Stil der 1920er, die zweite Hälfte des Programms. Hubert Kahs „Sternenhimmel“, Nenas Welthit „Nur geträumt“ und Herbert Grönemeyers „Männer“ begeisterten als allseits bekannte, aber völlig neu arrangierte Titel das Publikum.
Einmal mehr machten die „Schellack-Solisten“ einem Abend lang ihrem Namen alle Ehre. Alle neun Begleiter Denis Wittbergs wussten an ihren Instrumenten zu brillieren, und das Gesamtprogramm war so clever zusammen gestellt, dass jedem Solisten auch wirklich ein Solo zuteil wurde. Im Mittelpunkt stand neben Denis Wittberg das „Fräulein Clara Holzapfel“ in zwei atemberaubenden Abendkleidern, deren oftmals stimmführende Violine natürlich große Solo-Anteile hatte. Doch selbst Christian Diederich an Schlagzeug & Percussion machte spätestens bei seinem Kastagnetten-Solo klar, dass er im Hintergrund mehr als nur trommelte. Jörg Walter Gerlach am Flügel hatten großen Anteil an den Arrangements, Jens Hunstein begeisterte neben Alexander Gärtner nicht nur an Saxophon und Klarinette, er ist auch der musikalische Leiter des Ensenbles. Jörg Mühlhaus (Kontrabass und Tuba) sowie Florian Hofmann (Guitarre) wussten aus dem Bühnenhintergrund zu brillieren. Daniel Reiter (Trompte) und Norbert Porth an Posaune und für den akustischen Spezialeffekt auch am Revolver spielten stimmgewaltig mit und sich auch das ein oder andere Mal in den Vordergrund.
Den Abschluss des Konzertes bildet die Zugabe „Mein kleiner grüner Kaktus“, ein Schlagerklassiker des frühen zwanzigsten Jahrhunderts schlechthin, der deshalb bei keinem Wittberg’schen Konzert fehlen darf. So humorvoll wie die gesamt Darbietung war auch der Abschlusstitel angelegt: Im Verlauf von „Schlafen geht das kleine Saxophon“ macht nicht nur das Saxophon Feierabend, es verlassen auch die anderen Instrumente peut à peut die Bühne.
Die Überschüsse dieses Benefizkonzerts mit „Denis Wittberg und seinen Schellack-Solisten“ fließen, wie alle Einnahmen des Lions Clubs Hochheim-Flörsheim aus seinen Benefizveranstaltungen, den sozialen und kulturellen Projekten des Clubs zu. So hatten die weit über 250 Konzertbesucher nicht nur einen unterhaltsamen wie musikalisch hochklassigen Abend verbracht, sondern auch Gutes wie beispielsweise zugunsten der Flörsheimer Ukrainehilfe und des Hochheimer Antoniushauses getan.