15 sein. Was Jugendliche heute wirklich denken.

(aha) Melanie Mühl hat gestern Abend sanft und zuweilen zerbrechlich wirkend, mit einer Menge Vorurteile aufgeräumt.

Der Gemeindesaal der ev. Kirche war gut gefüllt mit Interessierten, die man auch als Fachpublikum bezeichnen könnte. Viele Anwesende gehörten zu den Mitinitiatoren dieser Lesung, dem „Netzwerk Jugendarbeit“, die allesamt professionell mit Jugendarbeit beschäftigt sind. Ansonsten Pädagogen, Psychologen, engagierte Eltern und eine Jugendliche – meine Tochter.

Ich habe sie gebeten mitzukommen, um die Aussagen der Autorin, sozusagen als Fachfrau zum Thema „wie ticken Jugendliche heute“, kritisch zu betrachten.

Hier die Jugend-Profis – dort die Profi-Journalistin der FAZ, die von Ihrer Recherche erzählt: Sie war sehr weit weg von Jugendlichen. Sie selbst hat keine Kinder und es gibt keine Jugendlichen im Kreis ihrer Freunde und Familie. Die Idee über das Denken und die Einstellungen der 15-jährigen von heute zu schreiben, kam Ihr beim Beobachten der Schülerpraktikanten, die da in der Redaktion so rumliefen und nicht auf die Horrorbilder, die von der Jugend gezeichnet werden, passten.  Sind die alle doof? Können die nicht richtig reden? Können die nicht schreiben? Sind mit die mit Drogen vollgepumpt? Schauen die die ganze Zeit Pornos? Sind die absolut oberflächlich und schauen nur die ganze Zeit aufs Handy? Stimmt das? Was machen die die ganze Zeit mit Ihrem Handy? Diesen Fragen wollte sie auf den Grund gehen.

Pizza funktioniert

Ganz in ihrem Element als Redakteurin ist sie für die Recherche abgetaucht ins Leben und Denken von Jugendlichen. Sie hat Jungs und Mädchen, Hauptschüler und Gymnasiasten befragt. Um die Interaktion in Gruppen kennenzulernen, hat Sie sich einfach einer Gruppe, die Sie schon häufiger gesehen hatte, vorgestellt und zuerst zum Picknick in den Grüneburgpark eingeladen. Eine Mischung aus Freude und Verwunderung begleitete sie, als die Gruppe tatsächlich zum Treffpunkt erschien und dann auch über einen längeren Zeitraum Einblicke in deren Welt zugelassen haben.

Dazu sagt Melanie Mühl: „Pizza funktioniert – Besonders schön waren die Momente, als sie nicht mehr gemerkt haben, dass ich da bin“ und „Eigentlich haben die Jugendlichen das Buch selbst geschrieben, weil sie sich mir geöffnet haben.“

Facebook ist tot – Instagram lebt

Melanie Mühl liest aus dem Kapitel über Instagram. Instagram ist das neue facebook – aber nur Fotos. What’s App zum Chat und zur Verabredung und You tube für Videos. Auf Facebook sind die Eltern. „Snapchat war zur Zeit der Recherche noch nicht so stark, ist heute aber ganz wesentlich“, sagt Sie und bindet meine Tochter fragend ein. Die bestätigt dies mit deutlichem Kopfnicken.

„Snapchat ist so beliebt, weil die Bilder einen kurzen Augenblick festhalten. Die Bilder können nur für einige Sekunden vom Empfänger angeschaut werden. Man kann dies zwar wiederholen, aber wenn jemand ein screenshot macht, wird es dem Versender gemeldet. Außerdem gibt es keine Eltern auf snapchat. Wir (Jugendlichen) sind da unter uns,“, sagt meine Tochter im Nachgang dazu.

Auf Instagram gibt es viele Fotos, viele viele Selfies. Viele davon sehen verdammt gut aus. Die Fotos sind mit Bildbearbeitungs-App’s aufgehübscht. Jeder halbwegs Begabte kann damit aus seinem Selfie ein gut aussehendes Bild machen. Aber es gibt auch peinliche Selfies mit tonnenweise Make-up im Gesicht und hochgezogenen Augenbrauen oder anderen wiederkehrenden Grimassen. So war das Duck-Face mit Schmollmund mal weit verbreitet, ist aber längst schon wieder ‚out‘. Das bestätigt auch meine Tochter auf den fragenden Blick von Melanie Mühl.

Was aber unabhängig vom aktuellen Fototrends bleibt sind Massen an Fotos. Auf Instagram findet man Unmengen von bearbeiteten Selfies, hübsch gestyltem Essen, gestellten Fitness-Studio-Fotos (ohne Schweiß) u.v.m.

Die geschminkte Unwahrheit

„Die Bilder zeigen keinen Alltag, nicht die ungeschminkte Wahrheit, sondern zeigen die geschönte, die geschminkte Unwahrheit.“, fasst die Autorin zusammen und offenbart ein bisschen mehr von sich: „Instagram wäre für mich der Tod gewesen, ich war unglaublich schüchtern und pickelig und sah mit 16 wie aus wie 12.“

In dieser und anderen Aussagen schimmerte immer ein wenig durch, dass sie das Thema auch ergriff, um ihre eigene schwierige Jugend aus neuen Blickwinkeln im Vergleich zu betrachten.

„Sie hat mich schön eingebunden, das war sehr nett. Sie ist heute sehr hübsch, aber sie hat damals bestimmt nicht zu den ‚Coolen‘ gehört. Das war sehr mutig von Ihr, soviel von sich preiszugeben“, meint meine Tochter auf dem Nachhauseweg. „Aber ich denke sie hat sich da eine ‚soziale’ Gruppe geangelt, da gibt es auch ganz andere. Im Kern hat sie aber das Denken getroffen, wie ich es auch um mich herum finde.“

Handys sind Spiegel –die Oberflächlichkeit ist ein Missverständnis

„Das ständige Schauen ins Handy ist auch ein ständiges in den Spiegel schauen. Bei meinem Besuch in meiner alten Schule habe ich bei den 15-jährigen Mädchen überall Schminkmäppchen gesehen, das gab es zu meiner Zeit nicht.“, erzählt Melanie Mühl und ergänzt: „Diese Allgegenwärtigkeit des eigenen Bildes und die hohe Anzahl an Nachrichten untereinander ist natürlich durch die neue Technik gegeben. Ich hätte mir auch gewünscht stundenlang mit meiner Freundin zu telefonieren oder zu chatten, bei uns gab es aber das leidige Telefonschloß – das hat mein Kommunikationsbedürfnis mit Gleichalten leider verriegelt.“

Natürlich wirkt der ständige Blick aufs Handy schnell wie eine sehr oberflächliche Beschäftigung. Aber ist es nicht. Es geht immer um Teams, um Kommunikation, um gemeinsamen Austausch. Freundschaft in jeder Abstufung ist sehr wichtig. Ausgeschlossen sein aus dem Kommunikationsfluss wäre schlimm. Man ist nie richtig allein, weil die ganze Gruppe und der größere Bekanntenkreis immer irgendwie dabei sind. Selbst wenn man in Neuseeland im Urlaub ist, kriegt man mit was zuhause läuft. Die sind nicht oberflächlich, die Beziehungen haben Tiefe und der Wunsch danach besteht. „Den zwanghaften Austausch mit jedem immer über alles, damit jeder weiß was wer gerade tut, nenne ich den „pathologischen Austausch“, sagt Melanie Mühl.

„Es heißt immer, die sind gar nicht kreativ – das stimmt nicht“, konstatiert die Redakteurin vom Feuilleton der FAZ. Was die alles machen und können ist auch neu. Die sind immer im Team, verabreden sich an coolen Locations, um gute Fotos zu bekommen. „Der Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten ist schon sehr kreativ “, ergänzt sie.

Trend zur Verwahrlosung – nein. Eher Sehnsucht nach Geborgenheit

„Sex, Alkohol, Kiffen, Oberflächlichkeit mit dem Trend zur Verwahrlosung. Das stimmt einfach nicht. Das wird gerne aufgebauscht, wir wissen wie das funktioniert. Wenn man Angst schürt, erhöht man das mediale Echo. Aber es passt nicht auf die Jugendlichen. Diese Generation ist eine sehr zurückhaltende Generation – sie haben zwar schon alles auf ihren Smartphone und Tablets gesehen – aber sie machen nicht alles. Und mehr noch, es ist eine sehr reflektierende Generation. Jeder Einzelne reflektiert sich, innerhalb der vielen Möglichkeiten, viel mehr als ‚wir’ früher.“, erklärt Melanie Mühl und fährt fort:

„Es gibt eine große Sehnsucht nach Geborgenheit, Familie, Freundschaft und längerfristigen Liebesbeziehungen. Es ist eine Gegenbewegung. Je mehr sich alte Strukturen auflösen und der Einzelne in den medialen Möglichkeiten untergehen kann, desto mehr steigt der Wunsch nach sicheren Beziehungen. Alle befragten Jugendlichen wollen Familie – alle Mädchen wollen später Kinder.“

Aus dem Grund ist das Buch „15 sein. Was Jugendliche heute wirklich denken“ kein Krawallbuch – weil es keine Angst schürt. Weil es nicht so ist.

Jugend ist halt Jugend

Melanie Mühl gibt Entwarnung. Jugend ist halt Jugend wie sie immer war, unruhiger, risikobereiter aber auch verletzlicher. Jeder Erwachsene sagt im Rückblick: Dass würde ich heute nicht mehr machen! Aber natürlich gibt es einzelne Personen die extrem sind, die gab es auch immer schon in dem Alter.

„Wir sind die beschriebene Generation mit dem ‚facebook-Cut’, wir sind als Kinder noch ohne Smartphones aufgewachsen, waren aber die ersten Teenager die in der 7. Klasse schon alle ein Smartphone besaßen. Keiner hat uns gezeigt, was man damit machen kann. Das haben wir alleine rausgefunden. Anfangs haben die uns die Smartphones verbieten wollen, heute machen wir unsere Präsentationen darauf, teilen die Dateien können sie an die an unterschiedlichen Orten bearbeiten, führen es wieder zusammen, haben das Ergebnis als ‚Keynote oder Powerpoint’ immer auf dem Handy dabei und präsentieren es dann als Gruppe im Team.“

Und ich denke mir dabei: „Und wir waren die ersten Eltern, die lernen mussten, damit umzugehen, dass unsere Kinder dieses kraftvolle High-Tech Werkzeug in der Hand hatten.“

„Und was denkst Du über die Aussagen von Frau Mühl?“, frage ich meine Tochter. Sie antwortet: „Natürlich ist es schwer für eine ganze Generation zu sprechen. Da gibt es so viele individuelle Unterschiede und ich kann nicht mit allem übereinstimmen, aber im Kern trifft sie die Gedanken, die uns bewegen, ohne uns als Proleten schlecht darzustellen.“

„Und hast Du noch ein Schlusswort?“ „Ja, wir erklären euch Eure Smartphones und was Ihr damit machen könnt, wenn Ihr freundlich fragt.“

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