Das Gefecht bei Hochheim vor 204 Jahren
Am 9. November 1813 fand in Hochheim das letzte Gefecht der Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) statt. Neben dem heroischen Gefechtsbericht der kaiserlich-königlichen Hof- und Staatsdruckerei Wien, gibt es diese von Zeitzeugen beschriebenen Verhältnisse:
Als die Österreicher nach ihrem Sieg über die Franzosen in Hochheim einzogen, bot sich ihnen ein trauriges Bild der Verwüstung und des Elends. Schüler schreibt in der
»Geschichte der Stadt Hochheim am Main«, der Mangel an Lebensbedürfnissen sei so groß gewesen, dass die meisten Leute kein Brot erhalten konnten. Die Einwohner wollten den Ort gänzlich verlassen. Wiesbaden (…hatte damals auch nur ein paar Tausend Einwohner, Anm. der Red.) hätte mit 50 Maltern Mehl zu Linderung der größten Not aushelfen müssen.
Zunächst hatten die fliehenden französischen Truppen, die Reste der großen geschlagenen Armee Napoleons von Hunger gepeinigt, bei ihrem Rückzug den Einwohnern die Lebensmittel abgenommen und auch als am 3. November die Stadttore geschlossen wurden und General Guilleminot und fünf weitere Generale zur Verteidigung gegen die nachfolgenden Verbündeten, die in Hochheim befindlichen Soldaten vorbereiteten, ließen die Drangsalierungen der Bevölkerung nicht nach.
Lehrer Heilmann hat in der Schulchronik festgehalten, was sich vom 1. bis 9. November Schreckliches in der Gemeinde ereignet hat. Tag und Nacht wären die Menschen ausgeplündert und misshandelt worden. An den meisten Häusern war kein Tor und keine Tür mehr; Keller, Scheunen, Speicher, Kisten, Kasten und Schränke waren ausgeleert, selbst Sterbenden sei das Bettzeug unter dem Leibe weggerissen, die Decken aufgeschnitten und die Federn auf den Mist geschüttet worden. Alle Häuser seien von Einquartierungen überfüllt gewesen, im Schulhaus befanden sich 130 Mann, die auf dem Kirchhof ihr Vieh schlachteten und an die 6 – 8 Feuern kochten. Allenthalben hätten die nötigsten Lebensmittel gefehlt. die Ernte des Jahres 1813 ging vollständig verloren, auch der Wein und ältere Vorräte. Krankheiten blieben nicht aus.
Die siegreichen Österreicher waren rücksichtsvoller, die Härten eines Krieges blieben aber fühlbar. Dann wurde Hochheim Etappe für das 3. preußische Armeekorps, die anschließende Belagerung von Mainz machte aber ein ständiges Gehen und Kommen von Militärs selbstverständlich. Die Einquartierungslasten und Frondienste folgten den früheren Plünderungen. Darüber hat Lehrer Heilmann in der Schulchronik nichts mehr geschrieben. Zeitzeugen vermitteln aber ein anschauliches Bild, dass es den umliegenden Orten, in denen vor dem Gefecht von Hochheim und während der Belagerung von Mainz die Truppen der Verbündeten einquartiert waren, nicht besserging. Feind und Freund zeigten nur wenig Unterschied in der Behandlung und in ihren Forderungen an die armen Einwohner.
Bei Wicker und Nordenstadt hatten die Bayern vor und während dem Gefecht Beobachtungsposten aufgestellt, die sich aber gut aufführten. Dagegen hatten die Kosaken, die sie dann ablösten, großes Verlangen nach Schweinen und Schafen. Den Einwohnern wurden die Schuhe auf der Straße ausgezogen und den Pferden warf man ungedroschene Garben vor. Schultheiß Schalk in Wicker wusste sich in seiner Not nicht mehr zu helfen. Einer nach dem anderen seiner Bürger war bis auf die Kleider am Leibe beraubt. An Holz fehlte es so, dass Häuser und auch Scheuern verbrannt wurden.
Der Bürgermeister und seine Familie waren harten Schlägen und Stößen ausgesetzt, weil sie das Verlangte nicht herbeischaffen konnten. Wenn nicht bald Hilfe käme, schrieb der Bürgermeister, dann müssten die Einwohner mit Weib und Kind ihre Heimat verlassen.
Regierungskommissar Rath, der nach Wicker entsandt wurde, berichtete am 22. November, dass es ihm nicht möglich war dort eine Unterkunft zu finden. An der Landstraße in der Gemarkung Wicker lagen noch tote Soldaten und Pferde, die einen abscheulichen Anblick böten. Die Menschen und Pferdeleichen waren seit der Erstürmung von Hochheim am 9. November oder seit dem Scharmützel bei Wicker am 3. November liegen geblieben.
„Wie es jetzt bei uns aussieht, können wir in etlichen Tagen ganz zugrunde gerichtet sein. Es stehen vier Regimenter im Ort und um ihn herum noch weitere Regimenter. Die Einwohner, die kein Holz und Brot haben, können nicht aus dem Hause gehen, weil ihnen nachts 100 Stück Vieh aus den Ställen gestohlen wurden.“
Aber der Amtmann in Wallau hatte keine Zeit, denn er war auch dort sehr in Anspruch genommen, weil im Ort 4.000 Österreicher lagen, die das Vieh aus den Ställen trieben und ihre Pferde einstellten.
Der Schultheiß in Hattersheim klagte am 15. November, dass er für die Truppen des Grafen Gyulai 1.200 Brote zu je 4 Pfund liefern müsse, ohne zu wissen woher, sowie für die örtlichen Einquartierungen von 700 Mann und 450 Pferde zu sorgen habe.
Der Hochheimer Amtmann Linn schrieb am 12. November: „Die hiesige und die Gemeinde Flörsheim bieten ein höchst trauriges Bild des Elendes und der Verwüstung dar. Der Mangel an allen Lebensbedürfnissen ist so groß, dass die meisten Leute kein Brot mehr von außen erhalten können. Dieser unglückliche Zustand wird noch dadurch erhöht, dass wir wegen der umherschwärmenden Kosaken nichts mehr von außen erhalten können. Besonders sind Flörsheim und die dortigen Mühlen von Kosaken auf eine grausame Art mitgenommen worden. Der Flörsheimer Schultheiß ist nach seiner Ausraubung nach Frankfurt geflüchtet.“
Die Russen unternahmen dauernd nächtliche Streifzüge nach Vieh und Lebensmitteln in die umliegenden Orte. Quittungen für die Lebensmittel wurden nicht gegeben. Bürgermeister, die sich nach der Regimentsnummer der beschlagnahmenden Truppen erkundigen wollten, bekamen Schläge und Stöße. Preußen, Russen und Österreicher schlugen sich oft um die Lebensmittelbeute, bis die stärkere Partei damit abziehen konnte. Die Gemeinde Medenbach musste vom 6. bis 13. Dezember täglich 200 Rationen Heu zu je 10 Pfund, 125 Rationen Stroh und 50 Simmern Gerste oder Hafer, am 14. Dezember sogar das Doppelte an die russische Artillerie nach Wicker liefern. Einem russischen Soldaten standen täglich 2 Pfund Brot, ein Drittel Schoppen Branntwein, zwei Lot Salz, ein Viertel Pfund Grütze, Graupen oder Hülsenfrüchte sowie 1 1/4 Pfund Kartoffeln zu. Dabei zeigten sich die Kosaken keineswegs dankbar oder gar rücksichtnehmend.
In jener Zeit waren Wirtshäuser geschlossen, desgleichen Krämerläden, denen die Schilder entfernt wurden. In den Orten herrschten fiebrige Krankheiten. Die Bewohner hatten Angst vor den Soldaten. Die Erbitterung über die andauernden Drangsalierungen waren so groß, dass gelegentlich die Männer zum Schutz von Frau und Kindern zur Waffe griffen. Einzelfälle sind nicht überliefert, doch wurde erzählt, dass in Flörsheim ein Soldat totgeschlagen und in den Brunnen geworfen wurde.
In der »Geschichte der Stadt Hochheim am Main« hat Schüler die Einquartierungen in Hochheim vom 3. November 1813 bis 20. Februar 1814 mit 83 Generalen, 5.261 Stabs- und Subaltern-Offizieren und 219.620 Soldaten angegeben.
Erst im Frühjahr 1814 trat Besserung der Zustände ein. Wobei – 240 Hochheimer starben in Kriegsfolgen am Fleckfieber.
Aus dem Heft Nr. 16 der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim vom Dezember 1995
Völkerschlacht bei Leipzig(Gemälde von Wladimir Moschkow, 1815)
Übrigens, der Stich von der Schlacht am Kippel in Hochheim ist im Otto-Schwabe-Museum Hochheim zu betrachten. www.hochheim-tourismus.de