Die Geister, die ich rief…..

Ein Bürgerbegehren sieht die Kommunalgesetzgebung in Hessen vor. Es wurde erstmals durch eine Änderung der Hessischen Gemeindeordnung im Jahr 1976 eingeführt.

In einem Bürgerbegehren ist das Durchbrechen der repräsentativen Demokratie zu verstehen, auch wenn mit seiner Einführung das Bürgerbegehren sich darauf beschränkte, die Gemeindevertretung als das gewählte Vertretungsorgan dazu zu zwingen, sich mit einer bestimmten Sachfrage zu befassen.

Die Gemeindevertretung in Hochheim ist die Stadtverordnetenversammlung.

Zwischenzeitlich änderte der Gesetzgeber die Bestimmungen zum Bürgerbegehren wiederholt. Dabei war es das Ziel des Gesetzgebers den Bürgern ein über den Bürgerantrag alter Art hinausreichendes Mitwirkungsmittel bei wichtigen Angelegenheiten der Gemeinde zur Verfügung zu stellen und sie damit häufiger als nur bei der Wahl alle fünf Jahre an der Willensbildung zu beteiligen. Kommunale (kommunalpolitische) Aktivitäten sollten dabei gerade auch bei den Bürgern, die sich nicht innerhalb von Parteien engagieren wollen, dadurch gefördert werden, dass ein unmittelbarer Anteil an der Willensbildung in der Gemeinde gewährleistet wird. Dadurch sollte das System der repräsentativen Demokratie auf der kommunalen Ebene ergänzt werden. Richtigerweise wird man aber nicht von einer Ergänzung, sondern vielmehr von einer Durchbrechung des Systems der repräsentativen Demokratie sprechen müssen.

Die Bürger Hochheims kennen das Bürgerbegehren. Nicht lange zurück liegt die vehement geführte Auseinandersetzung der Einwohner Hochheims, ob quer durch die Gemarkung Hochheims die Bundesstraße 40 neu geführt und somit den innerstädtischen Verkehr entlasten sollte. Das Interesse an der Abstimmung war größer als bei der wenige Wochen folgenden Kommunalwahl, die Wahlbeteiligung deutlich höher. Das Ergebnis der Abstimmung war nicht nur bindend für die Kommunalpolitik, sondern auch ein überzeugendes Votum für ein unzerteiltes Naherholungsgebiet.

Die Einführung derartiger unmittelbarer Demokratieelemente in ein Kommunalverfassungssystem, das durch die repräsentative Demokratie geprägt ist, birgt verschiedene Gefahren in sich.

So gestattete das bis zum 31.12.2015 geltende Recht des Bürgerbegehrens nicht, dass die Gemeindevertretung schwierige Fragen auf die Bürger abschieben konnte. Um dieser Gefahr vorzubeugen, sah der Gesetzgeber in Hessen bisher nicht die Möglichkeit vor, dass die Gemeindevertretung selbst einen Bürgerentscheid herbeiführen kann.

Eine weitere Gefahr wird im Bürgerbegehren gesehen, dass gut organisierte Interessenvertretungen sich von Belastungen befreien können, die eigentlich dem Wohl der Gemeinde dienlich sein könnten. Dafür stehen exemplarisch Entscheidungen über den Erhalt gemeindeeigener Einrichtungen, die bei geordneter Haushaltswirtschaft eigentlich nicht fortgeführt werden dürften.

Nunmehr besteht seit dem Jahr 2016 die Möglichkeit, dass die Gemeindevertretung die Bürger einer Gemeinde „anrufen“ kann, über eine bedeutende Frage eine Entscheidung herbeizuführen. Der Gesetzgeber warf damit seine Bedenken über Bord, dass der Bürger den dafür gewählten Mandatsträgern die Entscheidung abnehmen soll, das sogenannte Vertreterbegehren ist in die Hessische Gemeindeordnung (HGO) eingeführt.

Die FWG-Fraktion in der Hochheimer Stadtverordnetenversammlung ergreift die gebotene Möglichkeit und möchte ein Vertreterbegehren initiiert wissen zur Frage, ob die Lärmschutzwand an der A671 durch die Stadt Hochheim finanziert werden soll, denn der Bund lehnt eine Finanzierung ab.

Den Vertretern der FWG-Fraktion vorzuhalten, sie drückten sich um die Entscheidung, erscheint oberflächlich. Gleichwohl entbehrt der Anlass nicht einer gewissen Ungereimtheit. Neben der Frage, ob im Jahr 2027 eine Lärmschutzwand mit dem Geld der Stadt gebaut werden soll, worüber jetzt eine Entscheidung bis zum Frühjahr 2017 zu treffen ist, wäre ein Bürgerbegehren zur Barrierefreiheit  des Hochheimer Bahnhofs naheliegender gewesen. Der Modellkommune Inklusion hätte ein derartiges Bürgerbegehren sicherlich gut und in Relation zur Lärmschutzwand deutlich besser zu Gesicht gestanden. Auch in der Priorität, unterstellt das Geld  für die Lärmschutzwand wäre vorhanden, geht die Barrierefreiheit des Bahnhofs wohl vor.

Das Bürgerbegehren ist mit weiteren gesetzlichen Tücken behaftet, die seitens der FWG-Fraktion bis dato nicht gesehen werden, denn das Bürgerbegehren folgt den weiteren dazu geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Es muss sich dann um eine wichtige Angelegenheit der Gemeinde handeln. Es darf also nicht um eine Angelegenheit gehen, die zwar für eine kleinere Gruppe wichtig, aber für die Gemeinde insgesamt und für das Zusammenleben von eher untergeordneter Bedeutung ist. Ein Anhaltspunkt dafür kann es sein, welche finanziellen Auswirkungen der Bürgerentscheid haben wird. Es muss sich um die Entscheidung von Fragen handeln, die die Weichen für die zukünftige Entwicklung der Gemeinde stellen.

Die Lärmschutzwand wird die Lebensqualität der Bürger der Südstadt erhöhen. Zwar ist die Höhe der Investition geeignet, von einer wichtigen Angelegenheit für die Stadt Hochheim zu sprechen, jedoch ist zweifelhaft, ob die Lärmschutzwand für das Zusammenleben in Hochheim von erheblicher Bedeutung ist. Bereits daran könnte das Bürgerbegehren als unzulässig scheitern. Hochheims Bürger, die die Kosten für die Vorbereitung des Bürgerbegehrens einsparen möchten, könnten bereits hier klagebefugt sein.

Weiterhin ist zu verstehen, dass ein Bürgerbegehren dem Bürger die Frage der Stadtverordnetenversammlung als eigene aufgibt, mithin er es sein wird, der den Stadtverordneten aufgibt, eine Lärmschutzwand zu bauen oder es zu unterlassen.

Zentral für das Bürgerbegehren ist, dass die Bürger einen Kostendeckungsvorschlag für das Vorhaben unterbreiten müssen. Der Kostendeckungsvorschlag ist Zulässigkeitsvoraussetzung für das Bürgerbegehren. Damit offenbart sich die Widersprüchlichkeit in der Initiative der FWG-Fraktion. In dem Antrag ist die gesamte und berechtigte Unsicherheit über die finanziellen Voraussetzungen und die Frage der Finanzierung formuliert und zu dieser zentralen Frage wäre nun der Bürger verpflichtet, über eine Kostendeckung zu entscheiden, die ihm mit dem Bürgerbegehren als Vorschlag unterbreitet wird, obwohl seine finanzielle Unsicherheit ungleich größer anzunehmen ist.

Bei dem Kostendeckungsvorschlag darf das Bürgerbegehren sich nicht nur auf die Darstellung der aktuellen Kosten beschränken. Die reinen Investitionskosten für eine öffentliche Einrichtung werden sich oftmals noch vertreten und bewältigen lassen. Die eigentlichen Probleme für den Gemeindehaushalt stellen regelmäßig die Folgekosten dar, wie ein Blick auf die derzeitige Haushaltssituation vieler Gemeinden zeigt. Hier ist bereits in der Vergangenheit häufig zu nachlässig bei der Berücksichtigung der Folgekosten vorgegangen worden. Hier wird von der Gemeindevertretung verlangt, dass sie nur dann neue Investitionen beschließt, wenn zumindest eine Schätzung der nach der Fertigstellung anfallenden jährlichen Belastungen vorliegt

Daran muss sich auch der Kostendeckungsvorschlag eines Bürgerbegehrens messen lassen. Damit die Möglichkeiten eines Bürgerbegehrens nicht überschritten werden, wird man kostspielige Sachverständigengutachten normalerweise nicht fordern dürfen, vielmehr muss auch eine realistische Schätzung möglich sein. Der Kostendeckungsvorschlag muss jedoch für die Unterzeichner, die Gemeindevertretung und gegebenenfalls auch für die Aufsichtsbehörde und die Gerichte nachvollziehbar sein. Dazu ist es erforderlich, dass die Investitions- und die Folgekosten dargelegt werden und gezeigt wird, wie diese Kosten konkret aufgebracht werden können.

Ein Bürgerbegehren wird wohl nur dann zulässig sein, wenn es in der Vorbereitung die Zone des finanziell ungewissen verlässt und eine belastbare Prognoserechnung mit anzunehmenden Kostensteigerungen ebenso wie die Frage der Wartung und Pflege der Lärmschutzwand belastbar beantwortet.

Dem Anliegen, eine Entscheidung über den Bau einer Lärmschutzwand herbeizuführen, könnte die Zeit enteilen. Vielleicht ist das ein gutes Omen, sich doch anderen Projekten zuzuwenden, welche das Zusammenleben in Hochheim nachhaltig positiv beeinflussen können.

 

 

 

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