Der verschnupfte Christbaum

Im Försterbetrieb ging es zu wie im Taubenschlag. Meine Freunde, die Blautannen, Fichten und Föhren lagen oder lehnten aneinander in Reih und Glied und warteten verkauft zur werden. Es gab nichts Schlimmeres für einen Baum wurzellos in der Kälte zu sterben. Kein Baum will sterben. Ich übrigens auch nicht. Vor einem Jahr wurde ich in einen Topf gepflanzt und stehe seitdem auf der kleinen Terrasse des Verkaufsladens des Försters. Die gefällten Bäume vom letzten Jahr verschwanden damals spurlos, und wir da gebliebenen ahnten nichts Gutes.

ChristbaumEs wurde wieder kalt und wieder wurde gefällt. Es kamen Massen von Menschen und kauften die Nadelbäume, klemmten sie unter den Arm, warfen sie in den Kofferraum ihrer Autos und fuhren weg, auf Nimmerwiedersehen. Was geschah mit ihnen, dachte ich unruhig. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl. Neugierig beobachtete ich die Hektik und hoffte, dass bald alles vorbei war. Mein Förster gab sich gut gelaunt, die Kasse klingelte und den ganzen Tag spielte nadelzerreißende Musik aus dem Radio. Seid gestern fühlte ich mich überhaupt nicht wohl. Mir war kalt in meinem Topf. Meine Nadeln fühlten sich taub an. Mich fröstelte und es war ungemütlich.

Ein junger Mann kam abgehetzt zu dem Förster, fuchtelte mit seinen Armen herum während er redete, sein kalter Atmen stieß aus seinem Mund wie der Dampf einer alten Lok. Der Förster schüttelte den Kopf. Er suchte wohl noch einen schönen Baum, aber die besten waren bereits verkauft. Es lagen nur noch buschige oder krumme Kameraden rum und die wollte keiner. „Nehmen´s den“. Der Förster zeigte auf mich. Um Himmels Willen. Bitte nicht, ich wohne hier und will nicht sterben. Es half nichts. Ich wurde bezahlt, hochgehoben und in ein kleines Autos verfrachtet. Wir fuhren endlos durch holperige Strassen. Ich wurde schlimm durchgerüttelt. Krank wie ich mich fühlte, wurde mir jetzt auch noch schlecht.

Irgendwann hatte die Fahrt ein Ende. Ich wurde aus dem Auto gehoben und ein enges Treppenhaus hoch getragen. Der Mann war völlig fertig, als er mich endlich in eine Ecke eines kleinen Zimmers stellte.

„Du bist ganz ok, wenigstens bist du nicht schief“ begutachtete er mich und drückte meine Zweige nach unten. Er holte einen kleinen Schemel, stellte mich mit wohlwollendem Blick darauf. „Sehr schön, geschmückt wirst du später, jetzt noch schnell einkaufen“. Weg war er. Die Aufregung saß mir noch in den Nadeln, und es fröstelte mich wieder, obwohl es warm war im Zimmer. Ich wurde leicht müde und döste ein.

Helles Licht weckte mich. Der junge Mann kam mit einer großen Holzkiste auf mich zu, hinter ihm eine junge Frau. Sie lachte und klatschte in die Hände. „Der ist wirklich hübsch, genauso einen Baum hätte ich auch gekauft“, strahlte sie. Dabei gab Sie dem Mann einen Kuss auf die Wange. „Wenn er nicht eingeht, können wir ihn nach den Feiertagen auf den Balkon stellen.“ Er öffnete die Kiste, nahm eine rot schimmernde Glaskugel heraus und hängte sie mir an einen Zweig.

Na so was, was macht der denn? Neugierig sah ich dem seltsamen Treiben zu. Beide behängten mich weiter mit Glaskugeln, kleinen Holzfiguren, einer goldenen Kette und zum Schluss bekam ich noch einen riesigen Stern auf mein Haupt gesteckt. Zufrieden schauten mich die beiden an. „Das ist der schönste Baum, den wir je hatten“ freute sich die Frau. Vor lauter Lob und der Aufregung bekam ich ein gewaltiges Jucken in den Nadeln und nieste was das Zeug hält. „Oh Gott, was war das denn“ rief sie und packte den Mann ängstlich am Arm, „hoffentlich ist kein Tier im Topf, womöglich einen Maus.“

Na, na Gnädigste, das würde ich aber merken. Ich habe leider einen Schnupfen, erklärte ich, aber sie hörten mich natürlich nicht. Der Mann begann an mir zu zerren und zu ziehen.
„Da ist nichts, schau er ist ganz sauber und nirgendwo krabbelt es. Vorsichtig beäugte mich die Frau. Jetzt bloß keinen weiteren Niesanfall, sonst schmeißen die mich noch raus.

„Die Kerzen machen wir abends drauf, jetzt gehen wir kochen.“ Sie räumten die leer geräumte Holzkiste weg und verließen den Raum.

Kaum war die Türe zu, kam von allen meinen Seiten ein lautes „hallo“, „dass du noch dabei bist“, „lange nicht gesehen“, „alle Jahre wieder, altes Haus“.

„Das war eine Vorstellung vom Feinsten“, wieherte ein kleines Holzschaukelpferd an meinem rechten unteren Zweig. „So einen Ausritt hatte ich schon lange nicht mehr“.

„Wenn sie am Abend die Kerzen anzünden, musst du aber aufpassen, sonst gibt es einen Zimmerbrand“, meinte ein besorgter Strohstern zu meiner linken.

„Ich bin erkältet, hoffentlich habe ich euch nicht erschreckt.“ Überall blinkte und glitzerte es um mich herum.

„Nicht so schlimm“. Eine rote Glaskugel funkelte mich freundlich an. „Morgen geht’s dir sicher schon besser. Du stehst in einem Topf, vielleicht sehen wir uns nächstes Jahr wieder? Es sei denn sie kaufen sich einen neuen Christbaumschmuck“.

„Viel hat sich nicht verändert seit dem letzten Jahr, alles steht noch an seinem alten Platz“ informierte der prächtige Weihnachtsstern auf meinem Haupt.

„Was ist denn das Weihnachten überhaupt, wie läuft das hier ab?“, fragte ich in die strahlende Menge.

„Wenn es dunkel wird, zünden sie die Kerzen an und singen Weihnachtslieder, sie beschenken und umarmen sich. Wir werden bewundert, und nach zwei Wochen wandern wir wieder in die Holzkiste zurück und der Baum verschwindet“ erklärte die goldene Kette, die sich anmutig um mich schlängelte.

„Keine Sorge“, beruhigte mich eine andere Glaskugel, „du hast noch deine Wurzeln und wirst es überleben „dein Vorgänger wurde, glaube ich, aus dem Fenster geworfen.“

Mir wurde kalt, aber nicht von der Erkältung. Es klang alles gar nicht verlockend, und ich dachte an meine Kameraden aus der Försterei, die jetzt auch geschmückt und wunderschön aber wurzellos auf ihr trauriges Ende warteten.

„Es ist ein großes Privileg ein Christbaum zu sein. Eigentlich das schönste, was einem Nadelbaum passieren kann. Schließlich werdet ihr nur für dieses Fest gezüchtet. Du solltest stolz sein, du bist ein Auserwählter“ belehrte mich der Weihnachtsstern.

„Er muss es wissen, er hat schon viele Weihnachten erleben dürfen, Dienstältester sozusagen“, zwinkerte mir das freche Schaukelpferd zu und wippte fröhlich auf und ab.

Ein Auserwählter, dass klang alles so erhaben. Vielleicht sollte ich den Zustand einfach genießen und mich daran erfreuen, dachte ich.

„Die Frau wird bald reinkommen und sich was wünschen. Sie macht das schon drei Weihnachten lang“ sagte der Strohstern „Irgendwie wirkt sie immer trauriger“. Die anderen nickten zustimmend.

Genau in diesem Moment ging die Türe auf. Die Frau kam in den Raum. Sie schloss leise die Türe und kam auf mich zu. „Ich wünsche mir von ganzen Herzen, dass ich einen Heiratsantrag bekomme, das wäre immer noch mein größtes Geschenk.“ sagte sie leise. In dem Moment überfiel mich ein heftiger Juckreiz und es schüttelte mich, dass die Glaskugeln nur so bimmelten.
Erschrocken wich die Frau zurück. Bitte verzeih mir, jammerte ich im Stillen, ich bin doch nur erkältet. Die Frau faltete die Hände und sah auf die Zimmerdecke. „Lieber Gott, lass es ein Zeichen sein“, und sie verließ eilig das Zimmer.

„Super gemacht, du grüner Tollpatsch“ schimpfte ein dicker Holznikolaus, „jetzt ist sie sicher mit den Nerven fertig. Ihr Wunsch wird wohl wieder nicht in Erfüllung gehen, was immer sie auch will“ murmelte er in seinen angemalten Bart.

„Es tut mir so leid, ich konnte es nicht zurück halten. Seid ihr noch alle heil?“, erkundigte ich mich besorgt.

„Juppih, dass kam schon einem Galopp gleich“, schrie das Schaukelpferd begeistert.

„Ruhe jetzt, es geht los“, mahnte der Weihnachtsstern.

Der Mann und die Frau hatten sich auch herausgeputzt, begannen die Kerzen an mir anzubringen und anzuzünden. Sie sangen „Oh Tannenbaum“. In diesem Lied ging es um mich. Danke, das war wirklich nicht nötig, freute ich mich gerührt. Ich nahm mir fest vor, nicht mehr zu niesen. Überall flackerte helles Kerzenlicht um mich herum. Mir wurde richtig warm um die Nadeln vor lauter Freude.

„Setz dich und mach dein Geschenk auf“. Der Mann überreichte der Frau ein kleines Päckchen. Sie errötete und öffnete ein kleines samtenes Kästchen.

„Oh ein Ring, wie wunderschön“.

„Willst du mich heiraten?“, fragte der Mann und nahm die Hand der Frau.

„Ja ich will dich heiraten, mehr als alles andere auf der Welt“, sagte die Frau überglücklich. Sie lagen sich in den Armen, wollten sich nicht mehr loslassen. In diesem Moment schüttelte mich noch einmal ein kleines „Hatschi“ und alle wurden wieder leicht durchgerüttelt. Der Mann und die Frau sahen mich an und lachten lautstark los. „Was immer das bedeuten mag, für mich ist er ein Glücksbaum“ strahlte die Frau mit Tränen in den Augen.

„Wir lassen in besser nicht aus den Augen, sonst fackelt er uns noch die Bude ab“, grinste der Mann, nahm dabei seine Liebste wieder in den Arm.

Den restlichen Abend wurde gesungen, weitere Geschenke ausgepackt und als die beiden Verliebten die letzte Kerze ausbliesen, war es schon sehr spät. „Ich komme gleich nach“, sagte die Frau zärtlich und der Mann verließ das Zimmer. Weihnachten - Weihnachtsbaum und GeschenkeDie Frau setzte sich vor mich hin und lächelte.

„Ein wenig unheimlich bist du mir schon, aber ich glaube, du hast geholfen, dass es für mich das schönste Weihnachten geworden ist. Ich danke dir.“

Leise ging sie aus dem Raum.

„Ich glaube, dass war dein Verdienst, ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen“, meinte der Strohstern, froh dass er nicht abgebrannt war. „So ein Schnupfen hat auch Vorteile“.

„Habe ich dir nicht gesagt, dass es etwas ganz besonderes ist, ein Christbaum zu sein?“, fragte mich der Weihnachtsstern.

Ich nickte stolz. So war es, und ich atmete tief und erleichtert durch.

Text und Illustration: Barbara Pronnet

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