Stadtrat Gerrit Hohmann als UN-Blauhelmsoldat in Mali – Zweiter Einsatz endet in Kürze
(gh) – Mein zweiter Einsatz in Mali begann im Oktober 2021. Erfahren habe ich dies während einer Klausurtagung des Magistrats am Telefon. Mein Sohn war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal 18 Monate alt. Ich erwähne dies explizit, da ich bereits 2020 in den Einsatz gerufen wurde, zu einem Zeitpunkt an dem die Geburt von ihm kurz bevorstand. Zwischen Anruf und Beginn der Quarantäne bekam ich zehn Tage Zeit. Diese musste genutzt werden, um alle Dinge zu regeln: Dienstlich und insbesondere privat. Innerhalb kurzer Zeit bedeutet dies für mich, zweimal nach Mali in den Einsatz. 2020, 2021 und 2022 verbringe ich nun jeweils Monate hier in der Sahelzone. Temperaturen von jenseits 45 Grad und Wüstenstaub überall. Der Einsatz als UN-Blauhelmsoldat verlangt von uns Bundeswehrsoldaten viel. Das Gleiche gilt für die Leistung meiner Frau, die faktisch von jetzt auf gleich mit einem Baby allein gelassen wurde. Vor Ihrem „Einsatz“ habe ich größten Respekt. Damit wurden meine Auslandseinsätze zu unseren gemeinsamen Einsätzen, 5000km voneinander getrennt.
Mein Einsatz begann mit einem Flug von Hannover nach Bamako, der Hauptstadt von Mali. Von dort ging es weiter in das Camp Castor, nahe der Stadt Gao. Diese liegt am Fluss Niger im Nordosten des riesigen Landes. Die Umgebung von Gao wird nicht mehr durch die Zentralregierung regiert. Die Macht haben hier diverse Splittergruppen mehr oder weniger zugehörig zu zwei ebenfalls untereinander verfeindeten Hauptgruppierungen: JNIM (Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin), eine dschihadistische Extremistengruppe welche al-Qaida nahesteht, sowie der ISGS (The Islamic State in the Greater Sahara) welcher ein Ableger des Islamischen Staates ist.
Grob und stark vereinfacht kann man sagen: Nördlich von Gao regiert JNIM und südlich der IS. In dieser Gemengelage spielen diverse Faktoren eine gravierende Rolle. Es geht um die Unabhängigkeit der Tuareg, es geht um die Schaffung eines Kalifats und es geht – wie immer – um Geld, Einfluss und Macht. Alles geht zulasten der Zivilbevölkerung, die sich nicht dagegen wehren kann. Da die zentrale Regierung in Mali diesen Schutz ebenfalls nicht umsetzen und den Terroristen nichts mehr entgegenstellen konnte, brauchte es internationale Hilfe. Es entstand, mit einigen wenigen Zwischenschritten, die UN-Blauhelmmission MINUSMA. Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) dient der Sicherung des Friedens in einem Land, das Frieden seit zehn Jahren nicht mehr erlebt hat.
Die Bundeswehr hat hier drei Kernaufgaben: 1. Die Umsetzung der Waffenruhevereinbarungen zu kontrollieren. 2. Vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien zu gewährleisten. 3. Die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung aus dem Jahr 2015 zu unterstützen.
Die Stabilisierung des Staates Malis ist dabei von zentraler Bedeutung für die territoriale Einheit des Staates. Wir sind hier als Bundeswehr selbsterklärend nicht alleine. Sehr viele Staaten, im Schwerpunkt aus Afrika, beteiligen sich im Rahmen des UN-Mandats an diesem Blauhelmeinsatz. Mit rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und Blauhelmsoldaten und knapp 2.000 Polizisten und Polizistinnen trägt der Einsatz der Vereinten Nationen in Mali zur Stabilisierung des Landes bei. Der Deutsche Bundestag hat für die Beteiligung der Bundeswehr eine Obergrenze von 1.100 Soldatinnen und Soldaten festgelegt. Das Mandat erlaubt explizit den Einsatz von Waffen zur Durchsetzung des militärischen Auftrages. Wir leisten unseren Beitrag als deutsches Kontingent in erster Linie durch eine verstärkte gemischte Aufklärungskompanie, die mit unbemannten und unbewaffneten Aufklärungsdrohnen des Typs Heron und LUNA, sowie dem Spähpanzer des Typs Fennek mehrfach ausgerüstet ist. Hinzu kommen vor allem Sicherungskräfte, Versorgungs- und Sanitätskräfte sowie Fernmelder. Aktuell gilt das Mandat bis zum 31. Mai 2022. In den vergangenen Monaten, in denen ich hier in Mali bin, haben wir militärische Operationen durchgeführt. Warum dies so wichtig ist, zeigte sich am Beispiel einer Stadt nördlich von Gao. Hier hat der Zentralstaat keinen Zugriff mehr auf seine wichtigsten Säulen um staatliche Gewalt auszuüben. Daher sind mit uns verschiedene zivile Kräfte mit in die Stadt gekommen. Diese konnten zum ersten Mal seit vielen Monaten sich um die Menschen dort vor Ort direkt kümmern. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnten zum Beispiel wieder richterliche Entscheidungen gefällt werden. Zu unserem Kernauftrag gehört jedoch im Schwerpunkt die Aufklärung. Wir können dies luftgestützt mit unseren unbewaffneten Aufklärungsdrohnen leisten, oder bodengebunden. Hier sind bei den bisherigen Operationen unsere Aufklärer mit ihrem gepanzerten Spähfahrzeug Fennek, unseren Drohnen und gemeinsam mit anderen Kräften sehr erfolgreich gewesen.
Begleitet hatte ich die Aufklärer, welche zusammen mit CIMIC (Zivil-Militärische Zusammenarbeit) in den Dörfern unterwegs waren. Die Soldaten suchen hierbei das direkte Gespräch. Oftmals mit dem jeweiligen Dorfältesten. Dieser lädt meist auf drei Tassen Tee die teilnehmenden Soldaten ein. Während man trinkt tauscht man sich aus. Die Dorfältesten geben verbal eine Art Wunschliste ab. Meist geht es um Trinkwasserversorgung, Bildung oder Elektrizität. CIMIC leitet diese Wünsche entsprechend weiter, wo diese bezüglich der Umsetzung geprüft werden können.
Während dieser Gespräche erhalten wir umfangreiche Informationen bezüglich der islamistischen Gruppierungen im Umfeld der Stadt. Diese Erkenntnisse fließen mit allen anderen Sensoren, wie die Aufnahmen der Aufklärungsdrohnen oder die Kameras der Fenneks, um nur zwei Beispiele zu nennen, zueinander. Zusammengesetzt geben alle Sensoren ein gesamtes Lagebild. Man kann sich das vorstellen, wie bei einem Puzzle. Jede Information die man erhält, ist dabei ein einzelnes Puzzleteil. Wenn man diese richtig zusammensetzt, bekommt man ein umfangreiches Lagebild. Dieses wird dann an die UN weitergeleitet.
Um möglichst viele dieser Erkenntnisse zu erlangen, führen wir in diesem Kontingent größere, über Wochen andauernde Operationen durch. Die Erste war im Schwerpunkt über den gesamten Dezember bis unmittelbar vor Weihnachten nördlich von Gao. Die Zweite läuft aktuell. Bereits jetzt fließen für die Vereinten Nationen viele wichtige Informationen über die Aktivitäten der terroristischen Gruppierungen zusammen. Diese sind in unserem Sektor präsent. Wie aktiv diese sind und wie gefährlich der Blauhelmeinsatz sein kann, habe ich mehrfach erleben müssen. Der Beschuss mit Mörsern und Raketen ist sicher davon eine der prägendsten Erfahrungen. Nicht ohne Grund spricht die UN von ihrem blutigsten und verlustreichsten Einsatz seit den 50er Jahren.
Wir sind hier, weil wir dem Land helfen wollen. Damit es wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Den Menschen wieder ein bisschen Sicherheit geben. Verhindern, dass Frauen gesteinigt und Menschen wegen Vergehen öffentlich gehängt werden. Die Frage, was eigentlich die Militärjunta möchte, stellt sich seit einigen Wochen. Mit der Bitte an Russland, durch Söldner hier vor Ort zu unterstützen, wurden Fakten geschaffen. Welche Partner die Junta offensichtlich bevorzugt, hat sie gegenüber Frankreich und Dänemark sehr klar zum Ausdruck gebracht. Ich halte es, aus meiner eigenen persönlichen Sicht, für problematisch, wenn über die malische Regierung unsere Aufklärungsergebnisse russischen Söldnern in die Hände fallen sollte.
Ich bin nicht mehr lange hier vor Ort, in einigen Tagen werde ich zurück nach Deutschland fliegen. Die Menschen hier vor Ort bleiben. Ich kehre zurück in eine intakte Demokratie, mit Regeln, Normen und Werte.
Nach diesen Monaten hier im Sahel verstehe ich immer weniger, warum wir in Deutschland als aufgeklärte und informierte Gesellschaft es zulassen, dass einige Gruppierungen, egal ob von Rechts oder von Links versuchen, diese Säulen unseres Staates zu zerstören. Sich selbst über das Gesetz stellen, das sind Methoden, welche Demokratien scheitern lässt. Wir müssen lernen, unsere Werte zu verteidigen.
Bilder: Das Land, die Bevölkerung, das Camp, die Arbeit der Bundeswehr als Teil der UN – Gerrit Hohmann
Bildnachweis alle Bilder: Niklas Siekmann / Bundeswehr – Gerrit Hohmann / Bundeswehr