Der schwere Weg oder Der Gang nach Bethlehem
Alles an diesem Bild ist zweifach und voller Bedeutung. Dieses Bild gibt es zweimal. Dieses Bild hat zwei Namen. Dieses Bild ist kunsthistorisch als naturalistisches Landschaftsbild mit „Arme-Leute-Charakter“ und als Heiligenbild in neuem Gewand wertvoll. Dieses Bild beeindruckt mit einer weltlichen und einer religiösen Sichtweise, die gemeinsam oder unabhängig voneinander die Betrachter berühren und tiefe Empfindungen auslösen.
Als ob dies nicht schon packend genug wäre, wartet diese Bild noch mit einer erschütternden Geschichte auf. Die wechselvolle Geschichte des Werkes aus dem 19. Jahrhundert ist bis heute ergreifend und versöhnlich.
Die Bedeutung des Kunstwerkes, welches einen schweren Weg in eine ungewisse Zukunft zeigt, wächst noch weiter; denn ab Herbst 2017 steht es auch als Sinnbild für unsere Erinnerungskultur.
München 1890: Der Maler
Der Maler Fritz von Uhde (1848 bis 1911) hat zwei sehr unterschiedliche Lebensabschnitte; einmal als hochdekorierter Kavallerie-Offizier und zweitens als erfolgreicher Maler und Wegbereiter der Kunst des 20. Jahrhunderts. Zu seiner Zeit polarisierten seine Werke häufig. Wegen den Darstellungen des „Gewöhnlichen und Häßlichen“ wurden seine Gemälde von damaligen Kunstkritikern und auch vom Publikum oft abgelehnt. Durch seine meisterlichen Naturabbildungen und seiner naturalistischen Formenbildung mit der er „die Geschichten des Neuen Testaments in die Gegenwart brachte“, fand Uhde aber auch zahlreiche Bewunderer.
Berlin 1890: Der Verleger
Der Verleger, Sammler und Mäzen Rudolf Mosse (1843 bis 1920), sah das Gemälde „Schwerer Gang“ in der Neuen Pinakothek in München und war wohl von der hohen Kunst der Gestaltung, aber auch von der Aussagekraft und der Ausstrahlung derart beeindruckt, dass er eine Replik des Kunstwerkes bei Uhde in Auftrag gab. Daraus wurde die kleinere Variante ‚Der Gang nach Bethlehem’.
Rudolf Mosse besaß eines der größten und einflussreichsten Verlagshäuser der Weimarer Republik. Flaggschiff seines Medienimperiums war das Berliner Tageblatt, das zu den international vielgelesenen deutschsprachigen Zeitungen zählte. Mosse galt als kaisertreue und fortschrittlich-liberale Stimme im deutschen Reich, er engagierte sich in zahlreichen sozialen Projekten und trat immer wieder als Mäzen der Künste in Erscheinung.
Berlin, Leipziger Platz: Das Mosseum
Mosse gehörte zu den nachweisbar ersten privaten Käufern von Uhde-Bildern in Berlin. Während der 1880er und 1890er Jahre baute er sich eine riesige Kunstsammlung mit Gemälden, Büchern, Meißner Porzellan, Wandteppichen, französische Möbeln und Skulpturen auf, deren Schwerpunkt auf Gemälden des späten 19. Jahrhunderts lag. Im eigens dafür errichteten Palais Mosse am Potsdamer Platz, machte er diese Sammlung auch der Öffentlichkeit zugänglich. Die Berliner in ihrer typischen Schnoddrigkeit nannten das Palais mit tausend Kunstwerken schnell ‚Mosseum’.
Berlin 1933/34: Beschlagnahmung und Versteigerung in der NS-Zeit
Bis heute kann niemand genau sagen, wie viele Tausend Kunstwerke Mosse zusammengetragen hatte. Seine Tochter, Felicia Lachmann-Mosse, und Schwiegersohn Hans mussten 1933 als Juden ihren Besitz mit dem Machtantritt der Nazis abtreten. Das gesamte Vermögen der Familie wurde unter (nazi-)staatliche Verwaltung gestellt und ihr so entzogen. Auch die Kunstsammlung wurde auf Betreiben der Nationalsozialisten zu großen Teilen 1934 im Auktionshaus Rudolf Lepke in Berlin versteigert. Die Sammlung wurde auseinandergerissen. Im Gegenzug bekamen die Lachmann-Mosses Ausreisevisa nach Amerika und konnten ihre Leben retten.
Wiesbaden 1980: Schenkung der Rose und Friedrich Klein Stiftung
Das Gemälde ‚Gang nach Bethlehem’ von Fritz von Uhde gelangte 1980 zusammen mit einigen weiteren Kunstwerken über eine private Schenkung in das Museum Wiesbaden. Seither zählt es zu den Hauptwerken der Sammlung des 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden.
Wiesbaden 2015/16: Provenienzforschung und Restitution
Aufgrund einer Suchmeldung in der Datenbank Lost Art wurde das Museum 2015 aktiv und ließ die ursprüngliche Provenienz des Bildes durch die Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen recherchieren. Dabei wurde bestätigt, dass das Bild aus der Sammlung des Berliner Verlegers Rudolf Mosse stammte und der Familie in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen worden war.
Das Museum Wiesbaden empfahl daraufhin dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das Werk zu restituieren. Das Gemälde wurde per Restitutionsvereinbarung am 18. Juli 2016 der Erbengemeinschaft Mosse zurückgegeben, offiziell beglaubigt von Seiten des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst für das Land Hessen. Seither blieb es als Leihgabe der Erbengemeinschaft Mosse im Museum Wiesbaden.
Wiesbaden 2017: Erwerb des Werkes für das Museum Wiesbaden
Nun konnte das Werk dank des freundlichen Entgegenkommens der Erbengemeinschaft und der finanziellen Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Hessischen Kulturstiftung für die Sammlung des Museums Wiesbaden angekauft werden.
Wiesbaden 08. September 2017: Ein guter Tag für das Museum Wiesbaden
Die offizielle Übergabe des Gemäldes fand nun am 8. September um 13 Uhr im Museum Wiesbaden statt. Nach einer Begrüßung durch Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden waren als Redner zu Gast:
Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse und Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen.
Kunst- und Kulturminister Boris Rhein:
„Mit der Suche nach NS-Raubgut in unseren landeseigenen Museumsbeständen stellen wir uns unserer historischen Verantwortung. Und so ist es immer ein besonderer Moment, wenn es den Expertinnen der Zentralen Stelle für Provenienzforschung gelingt, die Geschichte eines mutmaßlichen Raubkunst-Werks zu klären und seine rechtmäßigen Besitzer zu finden. Ich freue mich sehr darüber, dass die Erben des Gemäldes Gang nach Bethlehem dem Museum Wiesbaden die Möglichkeit gegeben haben, es für seine Sammlung zu erwerben und so weiterhin ausstellen zu können.“
Dr. Alexander Klar, Direktor des Museums Wiesbaden, ergänzt:
Ich bin sehr glücklich, dass es gelungen ist, mit der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse zu einer einvernehmlichen und fairen Lösung zu kommen und so das Bild Gang nach Bethlehem von Fritz von Uhde für die Sammlung des Museums Wiesbaden zu erhalten. Provenienzforschung, Restitution und die Rücküberlassung eines zuvor unrechtmäßig entzogenen Werkes durch die Erben des geschädigten Sammlers stellen heute einen wichtigen Teil der Sammlungsgeschichte des Museums Wiesbaden dar. In unserer Sammlung sind diese Werke heute ein Mahnmal der Unrechtsgeschichte Deutschlands, aber auch unseres Versuches, die Verbrechen während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.“
Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder
„Das Gemälde Gang nach Bethlehem ist ein beeindruckendes Zeugnis für die Umsetzung eines religiösen Themas im späten 19. Jahrhundert. Zugleich verweist es durch seine enge Verbindung zum Auftraggeber, dem Berliner Verleger und Kunstsammler Rudolf Mosse, auf dessen bedeutende Kunstsammlung. Dank der langjährigen Provenienzforschung am Museum Wiesbaden konnte die Herkunft des Bildes aus der Sammlung Mosse und sein Verlust im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgung der Familie nachgewiesen werden. Der Kulturstiftung der Länder ist es ein zentrales Anliegen, durch die Förderung von Ankäufen restituierter Kunstwerke zu fairen und gerechten Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien beizutragen.“
Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen
erläutert zum Gemälde: „Rudolf Mosse, jüdischer Verleger hat auf Grundlage des Anzeigenverkaufs ab 1867 ein Medienimperium aufgebaut, darunter Berliner Tageblatt, Berliner Morgenzeitung und 130 spezialisierte Zeitschriften.
Der Erfolg ermöglichte ihm, den Bau eines Stadtpalais und den Aufbau einer bedeutenden Sammlung der Kunst seiner Zeit, welche dort öffentlich besichtigt werden konnte. Er gab nach einem Besuch der Neuen Pinakothek in München, zeitnah eine kleinere Version vom ‚Schweren Gang’ in Auftrag.
Das jetzt im Museum Wiesbaden hängende Werk, ist immer noch in seinem damals für das Bild angefertigte Originalrahmen zu sehen. Briefe zwischen Uhde und Mosse belegen den intensiven Austausch der Beiden über die Großartigkeit der Kunst.
Nach seinem Tod erbte seine Adoptiv-Tochter das Vermögen Rudolf Mosse’s. Kurz nach der Machtübernahme der Nazi’s wurden die Lachmann-Mosse’s ins Exil getrieben. Der Gang nach Bethlehem wurde als besonders wertvolles Stück deklariert und mit 3.000 RM (Reichsmark) taxiert und schließlich für 7.700 RM an den Kunsthändler Karl Braunstein versteigert.
Danach war das Kunstwerk für 46 Jahre verschwunden, bis Rose und Friedrich Klein im Jahr 1980 das Gemälde dem Museum Wiesbaden schenkten. Aufgrund dieses Erwerbsjahres kam dieses Bild nicht in den Fokus der Provenienzforschung.
Prof. Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft Rudolf Mosse’s
richtet zunächst Grüße von Roger Strauch, dem Nachfahre und Sprecher der Erbengemeinschaft Rudolf Mosse und erzählt von MARI der Mosse Art Restitution Initiative, welche das Ziel verfolgt, die ursprüngliche Sammlung digital zu rekonstruieren und öffentlich zugänglich zu machen. Der Erlös des Rückkaufes geht an das MARI Projekt, welches auch prototypisch für das jüdisch-patrizische Mäzenatentum vor dem 3.Reich stehen kann. Prof. Hegemann meint dazu: „Das ist Restitution mit den Mitteln des 21. Jahrhundert.“
Keine Raubkunst in Wiesbaden
Das klare Bekenntnis zum Umgang mit Raubkunst, und die Unterstützung der Aufklärung stellt das Museum Wiesbaden ganz vorne in die Reihe der öffentlichen Kunst- und Kulturbetriebe in Deutschland, die sich trauen die kriminelle Vergangenheit des NS-Kunstbetriebes aktiv aufzuarbeiten. Schließlich haben die Monuments Men, denen George Clooney ein filmisches Denkmal gesetzt hat, einen zentralen Sammelpunkt für geraubte Kunstwerke in den Räumen des Museums Wiesbaden eingerichtet. Die waren Helden waren hier in Wiesbaden. Auch Rose Valland, die im Film von Cate Blanchett gespielt wird, gab es wirklich. Die Kuratorin, die im besetzten Paris geheime Listen über von Nationalsozialisten geraubte Kunstwerke geführt hatte, war auch in Wiesbaden, um Gemälde zurückzuholen.
Mehr Info über das spannende Thema auf der Seite von Dr. Tanja Bernsau.
Internet: MARI
Die über 1.200 Werke der verstreuten Sammlung Mosse sollen gefunden und eindeutig identifiziert werden. Im virtuellen Mosseum sollen die Werke in Ihrem ursprünglichen Zusammenhang eingeordnet werden und mit Angaben zu ihrer Geschichte und ihrem Aufbewahrungs- oder Besichtigungsort versehen, gezeigt werden.
Bildunterschrift zum Gemälde:
Fritz von Uhde (1848 bis 1911), Gang nach Bethlehem, 1890. Museum Wiesbaden, Stiftung Rose und Friedrich Klein 1980, Restituiert an die Erben nach Rudolf Mosse Juni 2016. Erworben mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder /Ernst von Siemens Kunststiftung / Hessischen Kulturstiftung September 2017. © Museum Wiesbaden/Bernd Fickert.
Museum Wiesbaden
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden www.museum-wiesbaden.de
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Provenienzforschung
Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der möglichst lückenlosen Rekonstruktion der Eigentümerfolge und –verhältnisse eines Kunstwerkes. Die Provenienzforschung stellt somit einen besonderen, noch wenig entwickelten Aspekt des Fachs Kunstgeschichte dar, der sich mit Sammler- und Sammlungsgeschichte beschäftigt und die Besitzverhältnisse durch Recherchearbeit in Museums- und allgemeinen Archiven zu klären versucht. Für die Preisbildung auf dem Kunstmarkt kann man Provenienz auch als ‚historischen Einflussfaktor’ auffassen, der die Geschichte des Kunstwerks abbildet.
Restitution
Unter Restitution versteht man die Rückerstattung geraubter, enteigneter und zwangsverkaufter Kulturgüter. Als juristische, politische und individuelle Gründe für die Rückgabe kommen verschiedene Grundsätze in Frage. Das Themenfeld reicht von der Plünderung kultureller Güter aus Kolonien, über unfaire Teilung von Fundstücken bei Archäologischen Grabungen. Auch das UNESCO-Übereinkommen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut kann einen Anspruch auf Rückgabe von Kunstschätzen aus Raubgrabungen vermitteln. Von besonderer Bedeutung im deutschen Raum ist die Restitution von NS-Raubgut und DDR-Enteignungen.