Den Laptop mit den Augen steuern
Schüler der Edith-Stein-Schule im Antoniushaus testen für die Entwickler eyeV, eine Software zur blickbasierten Steuerung von Computern
Hochheim, den 13. Februar 2017.- Einen Computer alleine mit Blicken steuern. Dateien öffnen, Texte schreiben, Webseiten anwählen – ganz ohne die Hände zu benutzen, nur durch Augenbewegung. Buchstabe in den Blick nehmen, fixieren – Klick. Was im ersten Moment ein bisschen nach Science Fiction klingt, ist im Antoniushaus Hochheim gerade voll im Gange: Seit Ende 2016 testen drei körperbeeinträchtigte Berufsschüler der Edith-Stein-Schule für dessen Entwickler, Studenten der Hochschule Worms, das Programm eyeV. Die Software ermöglicht eine blickbasierte Steuerung aller Anwendungen am Computer. Für Menschen, die Maus und Tastatur aufgrund einer Beeinträchtigung nicht mit den Händen bedienen können, bedeutet das Selbstständigkeit in der digitalen Welt. Doch nicht nur die Schüler profitieren von der Kooperation: Durch die Zusammenarbeit mit dem Antoniushaus erhalten die Entwickler von eyeV wertvolles Feedback über die Nutzerfreundlichkeit ihrer Software.
Reic Eggebrecht schaut konzentriert auf den Laptop vor sich, an den ein Mitschüler gerade einen Eye-Tracker für ihn angeschlossen hat. Immer wieder bewegen seine Augen sich von links nach rechts, verharren dann sekundenlang an einer Stelle, bevor der Blick weitergleitet. Seine Hände liegen währenddessen ruhig auf der Ablage seines Rollstuhls. „Ich habe gerade ein Textdokument geöffnet, jetzt kann ich schreiben. Ganz einfach“, erklärt er und fängt an, Buchstabe für Buchstabe das leere Blatt zu füllen. Am unteren Bildschirmrand seines Laptops ist eine Tastatur zu sehen, ähnlich wie bei einem Smartphone. Nur dass es sich nicht um ein Touchpad handelt. Stattdessen wird die Tastatur, genauso wie alle anderen Menüs an seinem Laptop, mit Blicken gesteuert.
Wenn Reic einen Buchstaben mit den Augen fixiert, beginnt sich um den Buchstaben herum ein Kreis aufzubauen. Lässt er den Buchstaben nicht aus den Augen, bis der Kreis vollständig geladen hat, „schreibt“ er den jeweiligen Buchstabe. Nicht nur die Tastatur, auch die Maus wird mit den Augen gesteuert. „Im Moment sind wir bei etwa zehn Minuten, die Reic mit eyeV im Unterricht konzentriert arbeiten kann“, erklärt Jens Claußnitzer, Abteilungsleiter an der Edith-Stein-Schule und fügt hinzu: „Aber wir sind ja jetzt auch erst am Anfang der Pilotphase.“
Auf Hinweis einer Kollegin hat er das Projekt eyeV an die Schule geholt. Dank Spendengeldern der Leberecht-Stiftung und der Caritas-Stiftung konnte die notwendige Hardware angeschafft werden. Gemeinsam mit den Entwicklern von eyeV hat Jens Claußnitzer die Software anfänglich mit vielen verschiedenen Schülern auf ihre Nutzbarkeit getestet. Dabei war schnell klar, dass eyeV nicht für alle geeignet ist: „Für Schüler, die z.B. aufgrund einer Spastik nicht in der Lage sind, einen bestimmten Punkt zu fixieren, ist eine blickbasierte Steuerung nicht oder nur bedingt geeignet“, so Jens Claußnitzer. Doch für viele andere bedeutet die Software eine neue bzw. längere Selbstständigkeit. Und so haben sich direkt drei Schüler gefunden, die Interesse hatten, eyeV zu testen: Neben Reic nehmen auch Dominik und Michael Bartsch an dem Pilotprojekt teil. Die 19-jährigen Zwillinge sind begeistert: „Es ist cool, dass man alles mit den Augen steuern kann.“
Durch die blickbasierte Steuerung eröffnet eyeV Personen, die ihre Hände nicht oder nur eingeschränkt nutzen können, einen Zugang zur digitalen Welt. Entwickelt haben die Software Jens Platz, Mathias Anhalt, Konstantin Wachendorff und Jonas Kuntze im Rahmen ihres Studiums an der Hochschule Worms. Derzeit schreiben die Vier an ihrer Masterarbeit und bauen zeitgleich ihr Start-up-Unternehmen auf, um das Projekt eyeV möglichst vielen zugänglich zu machen. „eyeV soll Menschen mit entsprechenden körperlichen Beeinträchtigungen ein Stück Eigenständigkeit in der digitalen Welt geben. Ihnen ermöglichen, ohne die Hilfe anderer zum Beispiel ein digitales Buch zu lesen oder im Internet zu surfen“, so die Vier. „Um zu sehen, wie gut das Konzept in der Praxis funktioniert und ob es möglichweise noch den einen oder anderen Anpassungsbedarf gibt, ist die Pilotphase im Antoniushaus sehr wichtig für uns. Nur so bekommen wir das notwendige Feedback, um mögliche ‚Stolpersteine‘ gegebenenfalls aus dem Weg zu räumen.“
Die Testphase an der Edith-Stein-Schule läuft seit Mitte November. Im Moment lernen die drei Schüler die Software kennen. Sie trainieren die Steuerung mit den Augen und setzen eyeV auch schon zum Schreiben im Unterricht ein. Mittelfristig ist geplant, eyeV immer weiter in den (Schul)Alltag der Drei zu integrieren. Gleichzeitig sollen noch weitere Laptops im Antoniushaus umgerüstet werden, sodass auch Schüler der Peter-Josef-Briefs-Schule und Bewohner des Erwachsenenbereichs die Software nutzen können. „Wenn wir geübt sind, wollen wir dann auch mal ausprobieren, Spiele damit zu zocken“, erklärt Dominik lachend und sein Bruder stimmt ein.
Text und Bilder: Antoniushaus Hochheim