Frühling ist – wenn der Weinprobierstand eröffnet wird
Hochheim folgt einer eigenen meteorologischen Zeitrechnung. Das war gestern bei der Eröffnung des Weinprobierstandes am Weiher zu bestaunen. Der Frühlingsanfang bestimmt sich nach dem Beginn der Saison, mit dem in den kommenden Monaten wechselnde Winzer den Eintritt in das Wochenende einläuten. Beginnend am Freitag bis zum darauffolgenden Montag zelebrieren Besucher den Genuss der Hochheimer Weine. Eltern genießen unbeschwerte Stunden, während ihre Kinder im weitläufigen Areal spontane Freundschaften schließen, sich über Stunden selbst beschäftigen. Urlaub im Stundentakt.
Der Eröffnungstag, begleitet von einem wolkenlosen Himmel und wärmenden Sonnenstrahlen, hatte den Charakter eines Volksfestes, lang ersehnt. Es scheint, als hätte es keinen Hochheimer mehr in den eigenen Wänden gehalten. Auch auswärtige Gäste möchten den ersten Tag nicht verpassen. Die Sitzplätze reichen nicht aus, viele aus der weintrinkenden Fangemeinde lassen sich alleine oder in Gruppen auf der Fläche nieder, weicher Rasen ist noch nicht sichtbar. Es stört keinen. Kinder tollen herum, eine allseits gelöste Stimmung.
Um 17 Uhr tritt Bürgermeister Westedt an das Mikrofon, um die Eröffnung des Weinprobierstandes mit gewählten Worten zu begleiten. Ihm folgt Martin Mitter, der Vertreter der Betreibergemeinschaft der Winzer, die sich in einem Verein zusammengeschlossen haben. Die kurze Eröffnungszeremonie endet mit königlichen Worten aus dem Munde der Hochheimer Weinkönigin, Rebecca Hambuch. Allen wird dasselbe Schicksal zuteil. Fast keiner hört ihnen zu. Viel wichtiger ist das Gespräch unter Freunden, die sich gefühlt eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und daher viel zu erzählen haben. Wie lang der Winter war, lässt sich aus den sich nicht erschöpfenden Geschichten ablesen, der Redefluss wird nur vom einschenken und zuprosten unterbrochen. Einer redet in diesem Jahr nicht. Es ist Dr. Franz Werner Michel, langjähriger Repräsentant der Hochheimer Winzer.
Die größte Herausforderung des Tages besteht darin, überhaupt das begehrte Getränk in seinen Besitz nehmen zu dürfen. Die Betreibergemeinschaft schenkt am ersten Wochenende aus, so dass von allen dazugehörenden Winzern Weine angeboten werden. Die Vielfalt steigert die Vorfreude auf den Weingenuss. Doch zunächst ist angesagt, sich in eine der Warteschlangen einzureihen. Wer die Endlichkeit des auf dem Tisch stehenden Flascheninhalts nicht rechtzeitig erkennt, stellt seinen Freundeskreis und sich auf eine harte Probe, denn es kann durchaus bis zu einer halben Stunde dauern, ehe nach beharrlichem Anstehen der edle Tropfen erneut die ausgetrockneten Gläser füllt. Eine warme Mahlzeit dazu gönnen sich nur wenige, denn am Essensangebot und den dafür geforderten Preisen formuliert sich Kritik. So erwirtschaftet an diesem Abend der Pizzastand wohl den Umsatz seines Lebens.
Der Weinprobierstand ist der Treffpunkt für die kommenden Wochen und Monate. Es ist das Ereignis zum Wochenende, dem zuzustreben es erleichtert, die arbeitsreiche Woche zu ertragen. Ob er wohl jemals besser besucht war als am gestrigen Tag?