Die besinnliche Weihnachtsgeschichte – Eine glückliche Familie

Sie hatte sich gut gemerkt, was sich jeder ihrer Lieben im Laufe des Jahres besonders wünschte und bisher noch nicht bekam. Jetzt war sie unterwegs. Sie besorgte für Tochter Carla die DVD ihres Lieblingsschauspielers mit dessen neuem Film. Den hatte Carla schon im Kino gesehen, konnte aber nicht genug davon bekommen. Für Sohnemann Mark gab es die besondere Ausgabe einer Märklin-Lok, die er sich selbst nicht leisten wollte, weil sie zwar „super toll“, aber eben auch super teuer war. Und als Schüler mit Nebenjob war die Finanzlage meist abhängig von den Wochenendaktivitäten, die regelmäßig das Konto auf Null setzten.

Ja, und für ihren Mann, Frederick, gab es die lang ersehnte Automatik-Uhr in Fliegeroptik.

Zwar hatte sie für die Erfüllung all dieser Wünsche in den letzten Monaten immer wieder beim Einkaufen auf besonders günstige Angebote achten müssen, damit vom Haushaltsgeld am Wochenende immer etwas für die Geschenke übrig blieb, aber das tat sie doch gerne für ihre Familie, die sie liebte. Schließlich und wurde sie ja auch von ihrer Familie dafür geliebt, alles für sie zu tun. Was machte es da schon aus, das sie sich seit Monaten mit einfachster Seife wusch, statt mit ihrem Lieblingsduschgel. Sauber wurde sie auch so.

Und auf ihre besonderen Kekse hatte sie gleich ganz verzichtet. Ebenso auf ein paar neue Hausschuhe, die eigentlich längst fällig gewesen wären, denn in ihren jetzigen bekam sie kalte Füße wegen der ganzen Löcher.  Aber egal, das waren ihr ihre Lieben wert.

Jetzt, nachdem alle Einkäufe erledigt waren, musste sie sich jetzt sputen, um rechtzeitig zu Hause zu sein. Schließlich wollte sie das Wohnzimmer mit dem Weihnachtsbaum noch herrichten und dann mit dem Kochen beginnen. Schließlich sollte vor der Bescherung noch gegessen werden.

Als sie zur Haustüre hereinkam, schlug ihr bereits ohrenbetäubender Lärm aus Carlas Zimmer entgegen. Mark kam fluchend aus dem Bad. Wortlos an seiner Mutter vorbei eilend hätte er sie beinahe umgerannt, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Offensichtlich wieder schlechte Laune, dachte sie sich und stapfte mit den Tüten in die Küche. Dann versuchte sie bei Carla ihr Glück und bat doch die Musik ein wenig leiser zu machen. Nein, das ginge nicht, diese Lieder müsse man laut genießen, war die kurze Antwort, bevor Carla ihr die Tür vor der Nase zuschlug.

Also suchte sie sich ihre Ohrstöpsel und begann im Wohnzimmer die vorbereiteten Kartons mit Weihnachtsschmuck zu sichten. Dieses Jahr wollte sie den Baum zimtfarben gestalten und fand schnell den richtigen Baumschmuck. Ebenso zügig schmückte sie den Baum. Zufrieden begutachtete sie ihr Werk. Nur noch die Geschenke darunterlegen und die leeren Verpackungen wieder wegräumen.

Dann begann sie den Weihnachtsbraten herzurichten. Alle Beilagen hatte sie schon vorbereitet und jetzt kochte sie leise summend vor sich hin. Gerade als sie den Tisch deckte, hörte sie den Schlüssel im Schloss der Haustür. Frederick kam endlich nach Hause von seiner Tour mit den Kumpels. Jetzt konnten sie essen.

Er kam in die Küche und blickte auf den Herd. „Ist das Essen noch nicht fertig?“ war seine Begrüßung. „Aber doch, mein Schatz. Wir können sofort los legen. Ruf´doch bitte die Kinder“ bat sie ihn. „Erst muss ich noch meinen Mantel ausziehen und Hände waschen. Ruf´du die Kinder selbst“so seine Antwort.

Also machte sie sich auf den Weg nach oben und bat ihre Kinder zu Tisch.

Als sie alle zusammen am Tisch saßen, wurde von den Teenagern in Windeseile das Essen verschlungen. Auch ihr Mann kaute wortlos vor sich hin. Kein Kommentar zum Essen. Kein Wort an die Frau und Mutter. Jeder hing seinen eigenen Gedanken offenbar nach. Sie beobachtete ihre Familie und seufzte. Wann war das „wir“ und „zusammen“ eigentlich verloren gegangen? Weihnachten – wie war das doch vor Jahren schön gewesen, wenn sie zusammen gegessen und sich in Vorfreude auf die Bescherung unterhalten hatten. Und jetzt?

Carla war als erste fertig und wollte wissen, ob sie nicht schon ins Wohnzimmer könne. „Nein, erst wenn alle gegessen haben. Wenigstens das möchte ich zusammen machen“ gab sie ihrer Tochter zur Antwort. Es folgte ein missmutiges Brummen, aber die Tochter fügte sich.

Zusammen gingen sie dann ins Wohnzimmer. Die Kinder stürzten unter den Weihnachtsbaum, zogen ihre Pakete heraus und rissen sie auf. „Oh, fein. Jetzt kann ich wieder meine Züge umbauen“, war Marks Kommentar zur Lok, die er dann achtlos auf den Tisch stellte und seiner Schwester zusah, wie sie noch immer an der Verpackung herumwerkelte. Als es ihr endlich gelungen war diese zu öffnen, gab es von Carla die Bemerkung „Prima, nächstes Wochenende mache ich dann mit den Mädels einen DVD-Abend“. Damit wurde das Geschenk auf die Seite gelegt. Alle Blicke ruhten auf dem Vater, der sein Päckchen jetzt auch öffnete.

„Toll. Die sieht super aus. Morgen werde ich die Bedienungsanleitung mal durchlesen“ waren seine Worte. Dann stand er auf und schaltete das Fernehgerät ein. Die Kinder packten sich ohne ihre Geschenke auf und teilten mit, sie gingen noch zu Freunden. Schon waren sie aus der Tür.

Da stand sie nun und wusste nicht, was sie denken oder sagen sollte. Kein Dankeschön. Keine Beschäftigung mit den sorgsam ausgewählten Geschenken und kein Wort an sie, die für alles gesorgt hatte. Ja, so war das. Alles wohl nur noch selbstverständlich.

Sie ging wieder in die Küche, um sich des verschmutzten Geschirrs anzunehmen.

Gerade, als sie alle Reste verpackt hatte, läutete es an der Tür. Gleich darauf hörte sie ihren Mann die Tür öffnen und beinah sofort seine Stimme, die wütend mit jemandem schimpfte. „Haben selbst nichts …., gerade heute ….., was soll das“ waren die Wortfetzen, die sie bruchstückhaft vernahm. Als sie aus der Küche trat, hatte Frederick die Tür bereits wieder geschlossen und teilte ihr kurz mit, dass ein Bettler vor der Tür gewesen sei. Welch eine Frechheit. Sowas am Heiligen Abend. Und überhaupt. Er ging wieder ins Wohnzimmer und ließ sie im Flur stehen.

Kurz überlegte sie. Dann zog sie ihre Jacke an, schnappte sich alle Restebehälter und nahm den Schlüssel vom Haken. Sie trat aus der Haustür, blickte die Straße hinunter. In einiger Entfernung sah sie einen zerlumpten Mann gehen und lief ihm nach. An der nächsten Kreuzung hatte sie ihn eingeholt.  Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um, sie hielt ihm ihre Behälter hin. „Hier, die Sachen sind noch warm. Mehr habe ich im Moment nicht“ sagte sie und blickte dabei in zwei tief schwarze Augen, in denen sie zu versinken drohte. Schnell wandte sie ihren Blick ab, wartete darauf, dass er ihr Angebot annahm. „Nicht für mich“ kamen seine Worte. „Kommen sie doch mit, dann können sie ihre Gaben selbst abgeben. Keine Angst, es ist direkt hier um die Ecke“, dann ging er weiter. Mit ihren verpackten Speisen in der Hand stand sie da und blickte ihm nach. Dann schritt sie bewusst voran, folgte diesem Fremden. „Was tue ich da eigentlich? Er könnte mich umbringen“ dachte sie, aber trotzdem folgte sie ihm in die nächste Seitenstraße. Dann sah sie die brennende Mülltonne, an der drei Kinder saßen und sich wärmten. Sowas kannte sie nur aus amerikanischen Filmen. Aber hier war es kein Film, sondern Wirklichkeit. Am Ende dieser Seitenstraße, gegen die Wand eines angrenzenden Gebäudes gelehnt, saßen die Kinder und hielten ihre Hände dem wärmenden Feuer aus der Tonne entgegen.  Der Bettler blickte sie erneut an und sie kam langsam näher. Dann schauten die Kinder auf und sahen, dass eine Fremde vor ihnen stand.

Sie ging näher heran und hielt ihre Restebecher den Kindern entgegen. „Ich habe leider nur noch das. Und Besteck habe ich keines mit eingepackt. Entschuldigung. Aber es ist alles noch warm.“ Die Kinder sahen sie an und ihre Gesichter begannen zu strahlen. Sie sah, dass es drei Mädchen waren, die mit schmutzigen Gesichtern – wahrscheinlich Ruß vom Feuer – ihren Blick entgegneten. Eines nach dem anderen standen sie auf und kamen auf sie zu. Und alle drei umarmten sie fest und herzlich, grinsten sie breit an und dankten artig. Dann nahmen sie die Becher und zogen jede eine Gabel aus den Tiefen ihrer Taschen. „Wir haben eigenes Besteck. Das braucht man auf der Straße“, gab das offensichtlich älteste Mädchen an. „Es ist lange her, dass das Essen noch warm war, was wir bekommen haben. Haben sie vielen Dank dafür“. „Möchten Sie sich einen Moment zu uns setzen und Weihnachten mit uns feiern?“ fragte der Mann, der sich daraufhin mit Christian vorstellte. „Mein Name ist Maria“ sagte sie und nahm die Kiste in Empfang, die er ihr als Sitzgelegenheit anbot.

Zusammen sahen sie den Kindern zu, die vergnügt schmatzend sich über ihre Reste her machten und gerecht aufteilten, was in den Bechern war. Es fiel ihr auf, wie höflich und freundlich die Mädchen miteinander umgingen und jedes sah zu, das keines der anderen zu kurz kam. Maria beobachtete das alles und ein zufriedenes Lächeln formte sich auf ihrem Gesicht. Dann merkte sie, dass Christian sie beobachtete und errötete. „Es ist schön zu sehen, dass es den Kindern schmeckt. Und wie höflich sie miteinander umgehen, ohne untereinander neidisch zu sein.“

Christian lächelt sie an und dann erzählte er davon, was in seinem Leben geschehen war. Er arbeitete einst als Börsenmakler, hatte wirklich alles, was man sich nur denken konnte. Aber es war immer etwas da, was ihn antrieb noch mehr Geld zu scheffeln und noch mehr zu kaufen. Und immer hatte er viel zu wenig Zeit. Keine Zeit für seine Frau, keine Zeit für seine Freunde und schon gar keine Zeit für sich. Dann brach der Markt zusammen und mit ihm sein ganzes Leben. Seine Freunde hatten keine Zeit mehr für ihn und seine Frau fand, es sei Zeit, dass jeder wieder seiner eigenen Wege ging. So landete er auf der Straße und bei den drei Mädchen, die nicht seine Kinder waren. Aber das Leben mit diesen drei Kindern, die immer fröhlich waren, alles was man ihnen gab, mit einer großen Dankbarkeit annahmen und absolut gerecht aufteilten und selbst für die ein nettes Wort hatten, die sich über sie aufregten, hatten ihn verändert. Diese drei Mädchen gaben ihm, was er am meisten brauchte und bisher nie gehabt hatte. „Sie lieben mich, weil ich da bin. So einfach ist das.“

So erlebte Maria an diesem Abend die Zuneigung und Dankbarkeit, die sie sich von ihren Lieben so ersehnte. Es waren die Ärmsten, die zu sagen es nicht verlernt hatten.

Text: Conny Cremer

 

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