Mitverschulden bei Nutzung des Radweges entgegen der Fahrtrichtung

Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine Radfahrerin, die beim Befahren eines Radweges entgegen der Fahrtrichtung mit einem wartepflichtigen Pkw kollidiert, 1/3 ihres Schadens selbst zu tragen haben kann, wobei die Tatsache, dass sie keinen Schutzhelm getragen hat, ihren Eigenhaftungsanteil (bei einem Unfallereignis aus dem Jahre 2013) nicht erhöht.

Die Klägerin befuhr einen linksseitigen Geh- und Radweg. Diesem folgte sie auch, als er nur noch für Radfahrer aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung freigegeben war. Die Klägerin beabsichtigte eine Einmündung zu queren, um dann nach links in diese Straße einzubiegen. Der   Beklagte befuhr mit seinem Pkw die Straße und beabsichtigte, an der Straßeneinmündung nach rechts abzubiegen. Beim Abbiegen kollidierte sein Fahrzeug mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Klägerin stürzte auf die Motorhaube, rutsche mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf der Fahrbahn auf. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen.

Von dem Beklagten und seinem Haftpflichtversicherer verlangte die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 Euro, materiellen Schadensersatz von ca. 16.000 Euro sowie einen vierteljährlich mit 252 Euro auszugleichenden Haushaltsführungsschaden.

Das Landgericht hatte zunächst den Grund der Haftung aufgeklärt und der Klägerin – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens – 80% ihres Schadens zugesprochen.

Das OLG Hamm hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3 bewertet.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat der Beklagte den Unfall in erheblichem Umfang verschuldet, auch wenn er zunächst im Einmündungsbereich angehalten hat und dann langsam abgebogen ist. Gegenüber der Klägerin sei er wartepflichtig gewesen. Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren habe, obwohl dieser für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben gewesen sei. Ein Radfahrer behalte sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen auch dann, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutze.

Die Klägerin ihrerseits habe den Unfall mitverschuldet, weil sie mit ihrem Fahrrad den an der Unfallstelle vorhandenen Geh- und Radweg entgegen der freigegebenen Fahrtrichtung befahren habe. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst wenige Meter zurückgelegt habe, entlaste sie nicht. Sie habe sich verbotswidrig auf dem Radweg befunden, den sie richtigerweise nur noch – ihr Fahrrad schiebend – als Fußgängerin hätte benutzen dürfen.

Demgegenüber rechtfertige das Nichttragen eines Schutzhelms keine Anspruchskürzung zulasten der Klägerin. Zur Unfallzeit im Jahre 2013 habe keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer bestanden. Das Tragen von Fahrradhelmen habe zudem nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, was der BGH noch im Jahre 2014, bezogen auf einen Unfall aus dem Jahre 2011, festgestellt habe (BGH, Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verkehrsbewusstsein insoweit in den Jahren danach verändert habe, habe das Oberlandesgericht nicht.

Der Mitverschuldensanteil der Klägerin sei mit 1/3 zu bewerten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das der Klägerin nach wie vor zustehende Vorfahrtsrecht kein Vertrauen ihrerseits in ein verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten habe begründen können. Auch wenn der Beklagte mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem querenden Geh- und Radweg angehalten habe, habe die verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte sie wahrgenommen habe und ihr den Vorgang einräumen würde.

Vorinstanz

LG Essen, Urt. v. 30.09.2016 – 9 O 322/15

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 30.08.2017

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