Mit dem Gesicht nach unten ins Jenseits
Ergebnisse der archäologischen Voruntersuchung im Gewerbegebiet „Östlich Frankfurter Straße“ in Hochheim am Main
Hochheim / Wiesbaden. Bedingt durch die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes „Östliche Frankfurter Straße“ der Stadt Hochheim am Main (Main-Taunus-Kreis) wurde im Rahmen der Bauleitplanung durch das Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Abteilung hessenARCHÄOLOGIE, im Vorfeld eine archäologisch-geophysikalische Prospektion beauftragt, um so Planungssicherheit für die weiteren Arbeiten zu erhalten.
Denn bereits in älteren Luftbildern des Areals waren Auffälligkeiten erkennbar. Auch die Auffindung einer Geschützstellung des 2. Weltkrieges in unmittelbarer Nähe sowie die Lage an der spätmittelalterlichen „Mainzer Landwehr“ machten diese Maßnahme notwendig.
Magnetometer zeigte Anzeichen
Die im Mai 2020 von der Fachfirma Posselt und Zickgraf GbR (Marburg) durchgeführte Untersuchung mittels Magnetometer erbrachte zahlreiche Bodenanomalien, welche als archäologische Befunde (Vorratsgruben, Pfostenlöcher, Gräber) interpretiert werden konnten.
Damit war deutlich geworden, dass durch Bodeneingriffe im Rahmen einer zukünftigen Bebauung Kulturdenkmale unwiederbringlich zerstört werden würden. Eine bauvorgreifende archäologische Ausgrabung zur Dokumentation der Befunde und Bergung der Funde wurde daher notwendig.
Mit der Durchführung dieser Arbeiten, die von Oktober bis Dezember 2021 andauerten, wurde die Fachfirma AAB Archäologie (Berlin) unter der örtlichen Leitung von Frau Silke Hesemann M.A. beauftragt. Da sich im Zuge dieser Arbeiten in den ursprünglich vier ausgewiesenen Untersuchungsflächen zahlreiche archäologische Befunde zeigten, wurden daher gezielt gleichartige Anomalien aus der Magnetometer-Prospektion in acht weiteren, eng umgrenzten Teilflächen ausgegraben.
Zum Schutz der im Winterschlaf befindlichen Feldhamster und deren Bauten wurden zudem die naturschutzrechtlichen Bestimmungen und Auflagen strikt befolgt und auch die Fahrwege des zum Bodenabtrag eingesetzten Baggers entsprechend ausgewiesen.
Ausgrabungen brachten außergewöhnliche Funde aus der Jungsteinzeit
Im Rahmen der Ausgrabung konnten 63 Befunde (Siedlungs- und Vorratsgruben, Gräben, Pfostenlöcher) freigelegt und dokumentiert werden. Siedlungsbefunde und Bestattung lassen sich aufgrund des umfangreichen Fundmaterials aus den Gruben in die Jungsteinzeit datieren – konkret in die sogenannte „Michelsberger Kultur“ (4.400-3.500 v. Chr.).
Die über 6.000 Jahre alte Steinzeit-Hochheimerin
Die etwa 1,64 m große – vermutlich weibliche Person – lag in unnatürlicher Bauchlage mit gestreckten Beinen, über den Kopf angewinkeltem linkem Arm und über dem Becken liegendem rechtem Arm.
„Außergewöhnlich ist der äußerst seltene Nachweis einer Bestattung aus dieser Kultur, wobei gerade die ungewöhnliche Auffindungslage auf den ersten Blick reichlich Raum für Spekulationen lässt“, so Dr. Dieter Neubauer (hessenARCHÄOLOGIE), der zuständige Bezirksarchäologe für diese Maßnahme.
Zu den für diese Kultur charakteristischen Funden zählen Tulpenbecher mit Arkadenrand und runde Backteller aus Ton, Klingen aus Silex (Feuerstein) sowie trapezförmig geschliffene Steinbeile. Aus den Siedlungsgruben wurden zudem zahlreiche Rinder- und Schweineknochen geborgen, was Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten vor über 6.000 Jahren zulässt.
Die jungsteinzeitliche Siedlung in Hochheim konnte gerettet werden
Durch diese bauvorgreifenden archäologischen Untersuchungen konnten im Bereich des zukünftigen Gewerbegebietes die etwa 6.000 Jahre alten Befunde einer jungsteinzeitlichen Siedlung der „Michelsberger Kultur“, die durch einen umlaufenden Graben geschützt war, vor ihrer Zerstörung gesichert und dokumentiert werden.
Bild: Joachim Juraszek M.A., AAB; Bestattung einer vermutlich weiblichen Person